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Autoren Glossen Lyrik

John Banville Im Lichte der Vergangenheit John Banville
Im Lichte der Ver­gan­gen­heit.
Aus dem Eng­li­schen von Chris­ta Schuen­ke.
Kiepenheuer & Witsch 2014, 333 Sei­ten, ISBN 978-3-462-04595-6

Der alternde The­a­ter­schau­spie­ler Alex Clea­ve er­hält über­ra­schend das An­ge­bot, in ei­nem Bio­pic die Haupt­rol­le zu über­neh­men. Der Film mit dem Ti­tel „Er­fin­dung der Ver­gan­gen­heit“ er­zählt die Ge­schich­te des um­strit­te­nen Li­te­ra­tur­kri­ti­kers Axel Van­der. Die be­rühm­te Film­schau­spie­le­rin Dawn De­von­port ver­kör­pert Van­ders jun­ge Ge­lieb­te, de­ren Schick­sal im Film mit dem Sui­zid durch Er­trin­ken en­det.

Doch schon während der Dreh­ar­bei­ten ver­sucht sich Dawn mit ei­ner Über­do­sis Ta­blet­ten das Le­ben zu neh­men, wird je­doch recht­zei­tig ge­ret­tet. Nach ih­rer Ent­las­sung aus dem Kran­ken­haus reist Alex mit ihr nach Li­gu­rien, in die Nähe des Or­tes, an dem sich 10 Jah­re zu­vor sei­ne un­ter schi­zo­phre­nen Schü­ben lei­den­de Toch­ter Cass über die Klip­pen in den Tod ge­stürzt hat­te.

Zurück in Eng­land zieht Dawn bei Alex und sei­ner Frau Ly­dia ein, und die Dreh­ar­bei­ten wer­den fort­ge­setzt.

Dieser Erzählstrang wird im­mer wie­der von Alex' Er­in­ne­run­gen an eine Lie­bes­af­fä­re un­ter­bro­chen, die er im Al­ter von fünf­zehn Jah­ren mit der Mut­ter (Mrs. Gray) sei­nes bes­ten Freun­des Bil­ly hat­te. Nach einem hal­ben Jahr der heim­li­chen Be­geg­nun­gen wur­de die Li­ai­son von Kit­ty – Toch­ter von Mrs. Gray und Bil­lys jün­ge­re Schwes­ter – und ih­rer Freun­din ent­deckt und pu­blik ge­macht. Schon am fol­gen­den Tag ver­ließ Mrs. Gray den Ort ih­rer Schan­de, der Rest der Fa­mi­lie folg­te we­nig spä­ter nach.

Doch war es wirk­lich so? Kön­nen wir Er­in­ne­run­gen ver­trau­en, die uns Aus­kunft ge­ben sol­len über un­ser frü­he­res Ich? Wie ver­än­dert die Ge­gen­wart die Ver­gan­gen­heit, aus der sich un­ser Selbst ge­bil­det hat? Alex muss er­ken­nen, dass vie­les von dem, was er er­in­nert, so nicht ge­we­sen sein kann.

Der Roman spiegelt Per­so­nen und Mo­ti­ve auf ver­schie­de­nen Ebe­nen und über den Rah­men des Bu­ches hi­n­aus. Am au­gen­schein­lichs­ten ist der Be­zug zu Na­bo­kovs Lo­li­ta. Nur mit dem Werk Ban­villes ver­trau­ten Le­sern dürf­ten al­ler­dings die Be­zü­ge zu frü­he­ren Wer­ken des Au­tors auf­fal­len. So wis­sen wir aus „Ca­li­ban“, dass Axel Van­der – da­mals so alt wie Alex, als der ihn im Film dar­stellt – ein Ver­hält­nis zu der er­heb­lich jün­ge­ren Cass hat­te, die zum Zeit­punkt ih­res Sui­zids von Axel schwan­ger ge­we­sen ist. Und da­mit öff­net sich ein zwei­tes Leit­mo­tiv des Ro­mans: ein la­tent in­zes­tu­ö­ses Be­geh­ren.

Was wir erinnern ist das, was die Ver­drän­gung von der Ver­gan­gen­heit üb­rig ge­las­sen hat, wes­halb Zwei­fel an­ge­bracht sind an dem von Alex Wie­der­ge­ge­be­nen. Er ver­sucht Licht in die du­bi­o­se Ver­gan­gen­heit Axel Van­ders zu brin­gen, ver­sucht den Schlei­er zu lüf­ten, der sich um den Tod sei­ner Toch­ter ge­legt hat, und lässt dem wei­te­ren Le­bens­lauf der Mut­ter sei­nes ehe­ma­li­gen bes­ten Freun­des, sei­ner Ge­lieb­ten für ein hal­bes Jahr, nach­for­schen. Alex muss er­ken­nen: „Die To­ten sind mei­ne dunk­le Ma­te­rie; sie fül­len un­fühl­bar die lee­ren Räu­me der Welt.“ Und so stellt sich die Fra­ge: Ist das Licht, das aus der Ver­gan­gen­heit zu uns dringt – der Ori­gi­nal­ti­tel des Ro­mans lau­tet „An­cient Light“ – nur ei­ne Er­fin­dung?


8. April 2025

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