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Der alternde Theaterschauspieler Alex Cleave erhält überraschend das Angebot, in einem Biopic die Hauptrolle zu übernehmen. Der Film mit dem Titel „Erfindung der Vergangenheit“ erzählt die Geschichte des umstrittenen Literaturkritikers Axel Vander. Die berühmte Filmschauspielerin Dawn Devonport verkörpert Vanders junge Geliebte, deren Schicksal im Film mit dem Suizid durch Ertrinken endet. Doch schon während der Dreharbeiten versucht sich Dawn mit einer Überdosis Tabletten das Leben zu nehmen, wird jedoch rechtzeitig gerettet. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus reist Alex mit ihr nach Ligurien, in die Nähe des Ortes, an dem sich 10 Jahre zuvor seine unter schizophrenen Schüben leidende Tochter Cass über die Klippen in den Tod gestürzt hatte. Zurück in England zieht Dawn bei Alex und seiner Frau Lydia ein, und die Dreharbeiten werden fortgesetzt. Dieser Erzählstrang wird immer wieder von Alex' Erinnerungen an eine Liebesaffäre unterbrochen, die er im Alter von fünfzehn Jahren mit der Mutter (Mrs. Gray) seines besten Freundes Billy hatte. Nach einem halben Jahr der heimlichen Begegnungen wurde die Liaison von Kitty – Tochter von Mrs. Gray und Billys jüngere Schwester – und ihrer Freundin entdeckt und publik gemacht. Schon am folgenden Tag verließ Mrs. Gray den Ort ihrer Schande, der Rest der Familie folgte wenig später nach. Doch war es wirklich so? Können wir Erinnerungen vertrauen, die uns Auskunft geben sollen über unser früheres Ich? Wie verändert die Gegenwart die Vergangenheit, aus der sich unser Selbst gebildet hat? Alex muss erkennen, dass vieles von dem, was er erinnert, so nicht gewesen sein kann. Der Roman spiegelt Personen und Motive auf verschiedenen Ebenen und über den Rahmen des Buches hinaus. Am augenscheinlichsten ist der Bezug zu Nabokovs Lolita. Nur mit dem Werk Banvilles vertrauten Lesern dürften allerdings die Bezüge zu früheren Werken des Autors auffallen. So wissen wir aus „Caliban“, dass Axel Vander – damals so alt wie Alex, als der ihn im Film darstellt – ein Verhältnis zu der erheblich jüngeren Cass hatte, die zum Zeitpunkt ihres Suizids von Axel schwanger gewesen ist. Und damit öffnet sich ein zweites Leitmotiv des Romans: ein latent inzestuöses Begehren. Was wir erinnern ist das, was die Verdrängung von der Vergangenheit übrig gelassen hat, weshalb Zweifel angebracht sind an dem von Alex Wiedergegebenen. Er versucht Licht in die dubiose Vergangenheit Axel Vanders zu bringen, versucht den Schleier zu lüften, der sich um den Tod seiner Tochter gelegt hat, und lässt dem weiteren Lebenslauf der Mutter seines ehemaligen besten Freundes, seiner Geliebten für ein halbes Jahr, nachforschen. Alex muss erkennen: „Die Toten sind meine dunkle Materie; sie füllen unfühlbar die leeren Räume der Welt.“ Und so stellt sich die Frage: Ist das Licht, das aus der Vergangenheit zu uns dringt – der Originaltitel des Romans lautet „Ancient Light“ – nur eine Erfindung? 8. April 2025 |
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