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Mit Die Straße der Geister, dem dritten und letzten Band ihrer Regeneration-Trilogie, führt Pat Barker die Protagonisten aus den Vorgängerromanen Niemandsland und Das Auge in der Tür zusammen: den Militärpsychiater William Rivers und seinen Patienten Billy Prior. Nach der Behandlung seines Kriegstraumas kehrt Leutnant Billy Prior zum vierten Mal an die Westfront in Frankreich zurück. Er hat den Glauben an den Sinn des Krieges verloren, doch ein vages Pflichtgefühl treibt ihn an. Der Psychiater Dr. Rivers sieht sich mit einem moralischen Dilemma konfrontiert: Er heilt traumatisierte Soldaten, um sie zurück an die Front zu schicken – ein Widerspruch, der ihn selbst an den Rand des Zusammenbruchs treibt. Barkers Erzählung wechselt zwischen Rivers' Reflexionen und den Fronterfahrungen von Leutnant Billy Prior. Die Gegenüberstellung von Rivers' ethnologischen Erinnerungen an Melanesien – wo er indigene Rituale unter Kopfjägern untersuchte – und den Schrecken der Westfront deutet an, dass der moderne, industrialisierte Krieg seine eigenen, grausamen Rituale kennt. Der Erste Weltkrieg dient Barker als exemplarisches Setting: Die anfängliche Euphorie des Jahres 1914 weicht der Desillusionierung und dem Horror. Der Roman verbindet Fiktion mit historischen Ereignissen und Personen (*) und thematisiert die psychologischen und anthropologischen Aspekte des Krieges. Barker dekonstruiert bewusst die Mythen des Heldentums und entlarvt den Krieg als sinnlose Zerstörungsmaschinerie. Der Titel des Romans, Die Straße der Geister, bezieht sich auf einen Topos aus Rivers' Feldforschung in Melanesien, wo die Geister der Toten eine Straße in die entgegengesetzte Richtung der Lebenden gehen. Diese Vorstellung wird zur zentralen Metapher des Romans und verbindet die Traumata der Kriegsteilnehmer mit dem Umgang anderer Kulturen mit dem Tod. Die Trilogie zeigt eine von Hass, Nationalismus und Schuld zerrissene Männergesellschaft. Frauen spielen kaum eine Rolle – Männer führen den Krieg, erleiden ihn und reproduzieren seine Gewalt. Ihre Figuren sind Täter und Opfer zugleich, gefangen in einem System, das ihnen keinen Ausweg bietet. Pat Barker (*1943) bekam für Die Straße der Geister 1995 den Booker-Preis verliehen. Selten hat mich ein Buch zu dieser Problematik so unberührt gelassen wie dieses. Was möglicherweise sogar der Absicht der Autorin entspricht. * Die war poets Siegfried Sassoon und Wilfred Owen, die in ihren Gedichten den grauenhaften Stellungskrieg beschrieben, sowie der Anthropologe und Psychiater Dr. William Rivers. 20. Oktober 2025 |
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