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Giorgio Bassani Ferrareser Geschichten Giorgio Bassani
Ferrareser Ge­schich­ten.
Übersetzt von Herbert Schlü­ter. Nachwort von Joachim Mei­nert.
Verlag Volk und Welt 1975, 375 Seiten

Die sechs in diesem Band ver­sam­mel­ten Er­zäh­lun­gen ent­stan­den in den Jahren 1938 bis 1958, ihr Hand­lungs­ort ist Ferrara, das in Bas­sa­nis Werk eine zentrale Rol­le spielt. Die Zeit des ita­lie­ni­schen Fa­schis­mus und die ers­ten Jahre da­nach sind das his­to­ri­sche Ta­bleau, vor dem Bas­sa­ni den Konfliktbereich bei der Be­rüh­rung von Ste­reo­ty­pen mit In­di­vi­dua­li­tät be­schreibt. Im Mi­lieu der ita­lie­ni­schen Pro­vinz­bour­geoi­sie und ihren Aus­läu­fern be­we­gen sich die Cha­rak­te­re, die Bas­sa­ni wie ein Ar­chä­o­lo­ge Schicht für Schicht den Le­sern zu­gäng­lich macht. Über das Psy­cho­lo­gi­sche hi­naus sind es Cha­rak­ter­stu­dien, Men­schen, de­nen Kon­ven­tio­nen und Mo­ral­ge­setze massiv in ihre In­di­vi­dua­li­tät ein­grei­fen. Denen sie sich entziehen wol­len, wi­der­set­zen wol­len, über die sie sich hin­weg set­zen wollen. Aber auch die An­pas­sung, das Ar­ran­ge­ment mit den wech­seln­den Ver­hält­nis­sen, die Bi­got­te­rie und Heu­che­lei schweben all­ge­gen­wär­tig über den Pro­ta­go­nis­ten. Doch das Aus­leuch­ten der Per­sön­lich­kei­ten hat Gren­zen, die Poetologie Bas­sa­nis hin­ter­lässt einen un­auf­lös­ba­ren Rest, ein Glimmen, ei­ne Ah­nung, dass wir nicht mehr tie­fer dringen kön­nen, ob­wohl wir doch noch nicht am Ziel sind.

Das Atmosphärische dieser Er­zäh­lun­gen, die leicht da­hin flie­ßen­de Sprache, die re­flek­tier­ten Schil­de­run­gen des Ge­sche­hens haben mir gut ge­fal­len.

Giorgio Bassani (1916 – 2000) verbrachte Kind­heit und Ju­gend in Ferrara in der Emi­lia-Romagna. Er stu­dier­te Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft in Bo­log­na und ver­öf­fent­lich­te 1940 sei­nen ersten Roman. Der fa­schis­ti­schen Rassegesetze we­gen arbeitete er als Leh­rer an einer jüdischen Notschule, an­de­re Ar­beits­mög­lich­kei­ten wa­ren ihm verwehrt. In den frü­hen 40er Jahren schloss er sich dem an­ti­fa­schis­ti­schen Wi­der­stand an. Nach einer kur­zen Haft­stra­fe verließ er Fer­ra­ra und verbrachte den Rest sei­nes Lebens in Rom. Sein Werk umfasst Gedichte, Er­zäh­lun­gen und wenige Ro­ma­ne. Pub­li­zis­tisch trat er als Li­te­ra­tur­kri­ti­ker auf, als Lektor ver­dan­ken wir ihm die Durch­setzung des Ro­mans "Il Gat­to­par­do" von To­ma­si di Lam­pe­du­sa. Als Bas­sa­nis li­te­ra­ri­scher Hö­he­punkt gilt sein Ro­man "Die Gär­ten der Finzi-Con­ti­ni".

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25. Oktober 2023

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