Kassiber | |||||
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Peter Berthold Vor vielen Jahren wurde ich unerwartet Zeuge eines beeindruckenden Vogelzugs. Es war ein regnerischer Tag in der Wetterau, vor uns eine dunkle Wolkenwand, aus der ein Zug Kraniche hervorbrach. Und noch einer, immer mehr, bis es schließlich 7 oder 8 mit zwischen ca. 20 und 50 Exemplaren pro Zug geworden waren, die sich, kaum hatten sie die Wolken verlassen, von einem thermischen Aufwind spiralförmig in eine höhere Luftschicht tragen ließen. Dort formierten sie sich zu der typischen V-Formation und zogen unter rauem Krächzen weiter ihren Winterquartieren entgegen. Wir standen noch lange im Nieselregen und staunten über dieses archaisch wirkende Erleben. Ich habe schon häufiger Kranichzüge beobachten können, immer haben sie einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen, unübertroffen jedoch blieb dieser Wetterauer Regentag, der mir noch immer Gänsehaut verursacht. (Richard Powers beschreibt auf nahezu mythische Weise in "Das Echo der Zeit" den ewigen Zug der Kraniche.) Jedes Jahr befinden sich ca. 50 Milliarden Zugvögel auf dem Weg zu ihren Brutplätzen und wieder zurück, manche überwinden dabei Entfernungen bis zu 30.000 km und Hindernisse wie den Himalaya, die Alpen oder die Sahara. In Peter Bertholds "Vogelzug" geht es um alle Arten von Vogelzügen: Kurz-, Mittel- und Langstreckenzüge, um Teilzieher (ein Teil der Population zieht weg, ein anderer bleibt) und Standvögel, die nur bei Futternot oder dem Einfall anderer Vogelarten ihren Standort verlassen, um sich anderswo – temporär oder dauerhaft – niederzulassen. Beschrieben werden die Auslöser für das Zugverhalten und die verschiedenen Arten der Navigation (Sonnen- oder Sternenkompass, Orientierung an Landmarken oder dem Erdmagnetfeld) sowie die Wegstrecken, die zurück gelegt werden, wobei diese durchaus bis zu einem gewissen Grad flexibel sind. Vom Beginn der Vogelbeobachtung (von Aristoteles über Friedrich den II. bis in die Gegenwart) bis zu einer Prognose der durch den Klimawandel bedingten Veränderungen im Zugverhalten der Vögel reicht die Darstellung des Phänomens, erläutert durch umfangreiche statistische Erhebungen. Physiologische Aspekte (Zugvögel verfügen in der Regel über längere und spitzere Flügel als Standvögel) werden ebenso berücksichtigt wie unterschiedliche Ansätze zur Erforschung des Vogelflugs. Der Text ist nicht aktuell (eine aktualisierte Auflage ist 2017 erschienen), so wird der Rückgang des Weißstorchs (von 1057 Paaren in Deutschland im Jahr 1974 zu 649 Paaren im Jahr 1984) beklagt, wohingegen 2017 wieder 6756 Brutpaare gezählt wurden. Sicherlich hat auch die Forschung über das Zugverhalten von Vögeln Fortschritte gemacht, die noch nicht berücksichtigt werden konnten. Dennoch fand ich die Lektüre interessant, weil ich von dem Thema bislang überhaupt keine Ahnung hatte. In der umfangreichen Literaturliste am Ende des Bandes taucht übrigens auch ein Autor mit Namen "Nachtigall" auf, der über "Vogelflug und Vogelzug" geschrieben hat. ---------------------------- 30. März 2021 → Reisen |
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