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Grégoire Bouillier Der Überraschungsgast Grégoire Bouillier
Der Über­ra­schungs­gast.
Aus dem Fran­zö­si­schen von Clau­dia Kalscheuer.
Nagel & Kimche 2008, 127 Sei­ten
ISBN 978-3-312-00403-4

Grégoire erhält einen An­ruf von ei­ner Ex­freun­din, die sich vor Jah­ren abrupt und oh­ne je­de Be­grün­dung von ihm ge­trennt hat­te. Sie ha­ben seither nicht mehr mit­ei­nan­der ge­spro­chen. Sie lädt ihn als "Über­ra­schungs­gast" auf eine Ge­burts­tags­par­ty für Sophie Cal­le, die berühmte Künst­le­rin, ein. Für ihn steckt dieses Gespräch vol­ler Anspielungen und ver­steck­ter Signale, die er zu in­ter­pre­tie­ren sucht. Als Ge­schenk wählt er den teu­ers­ten Wein, den der Wein­la­den an­zu­bie­ten hat, er möchte be­ein­dru­cken.

Auf der Party mit vielen il­lus­tren Gästen, die er alle nicht kennt, erfährt er, dass die Künstlerin grund­sätz­lich keine Ge­schen­ke auspackt, son­dern sie nur fotografiert und ar­chi­viert. Er ist ent­täuscht und au­ßer ein paar kurzen Ge­sprä­chen mit an­de­ren Gäs­ten lang­weilt er sich sehr. Es ergibt sich ein Ge­spräch mit seiner Ex, die ihm ver­klau­su­lier­te Bot­schaf­ten zu schi­cken scheint, die ihn nach­denk­lich stimmen in der Ah­nung, dass sie auf die­se Weise ihr Schwei­gen in den ver­gan­ge­nen Jah­ren er­klä­ren will. Auf dem Heim­weg wird ihm klar: Das Dreh­buch für das gerade Er­leb­te ist Virginia Woolfs "Mrs. Dallo­way", jetzt ergibt alles einen Sinn, das Puzzle ist kom­plett.

Zehn Jahre später be­geg­net Grégoire der Künst­le­rin So­phie Cal­le er­neut (wieder auf einer Party) und erzählt ihr von ihrer da­ma­li­gen Ge­burts­tags­par­ty und wa­rum er zum "Über­ra­schungs­gast" ge­wor­den war. Drei Tage später ruft sie ihn an, sie hat im Keller tatsächlich die teure Flasche Wein ent­deckt, von der sie nicht wusste, wer sie ihr ge­schenkt hatte. Man kommt sich näher.

Die Erzählweise ist die eines Ma­ni­kers, der in al­lem Be­zü­ge sieht zwischen äußeren Er­eig­nis­sen und seinem ei­ge­nen Le­ben. Atemlos und in sich über­stür­zen­den Sätzen schreibt er sich in eine Welt, die ihm verschlüsselt die Zu­sam­men­hän­ge und Be­deu­tun­gen er­klärt.

Sophie Calle (*1953) ist eine französische Kon­zept­künst­le­rin, die die Tren­nungs­nach­richt, die ihr Grégoire Bouillier per Email hatte zu­kom­men las­sen, als Fun­da­ment für ihren Bei­trag auf der Biennale di Ve­ne­zia nutzte. Bouillier (*1960) ver­fährt ähnlich bei seinen literarischen Arbeiten.

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4. Oktober 2023

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