Kassiber | ![]() |
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Ihre Umgebung und ihre Freunde nehmen sie als das ideale Paar wahr. Sie ergänzen einander, sie spiegeln sich, sie träumen die gleichen Träume, man könnte von einer Symbiose sprechen. Sie reden wie aus einem Mund. Aber es ist etwas geschehen, das zu ihrer Trennung führen soll. Wir erleben sie in den Stunden vor ihrem letzten Treffen, Nicole wartet schon in dem Restaurant, in dem sie sich verabredet haben. Sie weiß, Pierre wird sich verspäten, er verspätet sich immer, und ist dennoch zur verabredeten Zeit erschienen. Pierre zögert seine Ankunft hinaus, er weiß, dass Nicole damit rechnet, dass er zu spät kommen wird, sie sind sich ja immer noch so nah, auch bei der Vorbereitung ihres Abschieds. Pierre, auf dem Weg ins Restaurant, und Nicole, dort wartend, reflektieren ihre gemeinsame Vergangenheit und die Zeit davor. Prägende Momente, charakteristische Verhaltensweisen, Spektakuläres und Unspektakuläres taucht aus den Erinnerungen auf, manches wirkt plötzlich fremd. Fremd genug, um den anderen zu verlassen, das Ende der Beziehung zu akzeptieren? Formal ist das interessant gelöst, denn die Gedanken und Erinnerungen sind nicht sofort den beiden Protagonisten zuzuordnen. Erst mit der Zeit der fortschreitenden Lektüre bemerkt man geringe Unterschiede in den Formulierungen, in den Farbtönungen der Sprache, was aber auch immer wieder erschwert wird durch Einschübe, in denen die Äußerungen der beiden ineinander fließen. Als sie sich schließlich im Restaurant treffen und miteinander reden, endet der Text wie folgt: "...lass uns hier weggehen, gut, lass uns woanders hin gehen, gut gehen wir, ganz weit weg, wenn du willst, wohin wirst du mich bringen, wohin du willst Nicole, versprich es, versprochen, auch wenn ich weit weg will bringst du mich hin, ja wohin du willst, irgendwohin ans Meer, wenn du willst ans Meer, ja ans Meer ist gut, ist gut ans Meer ist gut, ich will schwimmen, gute Idee gehen wir schwimmen, ich will im Meerwasser schwimmen, gut Liebling gehen wir." Meine Interpretation: Ihre Trennung ist eine Folge der symbiotischen Nähe, erst als sie dies erkennen und die Individualität des/der Anderen wahrnehmen, schafft das die Grundlage für einen Neuanfang. Evelyne de la Chenelière (*1975) ist französischsprachige Kanadierin, sie hat mehr als zwanzig Theaterstücke geschrieben und diesen einen Roman. Sie studierte Literatur und Theater in Paris und in Montréal, gelegentlich tritt sie auch als Schauspielerin auf. ---------------------------- 4. November 2023 |
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