Kassiber leer
Autoren Glossen Lyrik

Wilfried Daim Der Mann der Hitler die Ideen gab Wilfried Daim
Der Mann, der Hitler die Ideen gab.
Die sektiererischen Grund­la­gen des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus.
Dietz Verlag Berlin 1991, 316 Sei­ten, ISBN 3-320-01680-6

Jörg Lanz von Lie­ben­fels (1874-1954), der ei­gent­lich Adolf Jo­sef Lanz hieß und sich den Adel erst spä­ter zu­leg­te, war einer, der – wie üb­ri­gens viele an­de­re auch in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts und im be­gin­nen­den 20. – be­ses­sen war vom The­ma "Ras­se". Wie andere "Ras­sen­theo­re­ti­ker" auch bau­te er sich eine wirre Hie­rar­chie von Ras­sen zu­sam­men, an deren Spit­ze selbst­ver­ständ­lich der wei­ße Eu­ro­pä­er ari­scher Ab­stam­mung steht. Sei­ner "Ario­so­phie" wird ein maß­geb­li­cher Ein­fluss auf die Ent­ste­hung der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gie durch Adolf Hit­ler zu­ge­rech­net. Wil­fried Daim un­ter­nimmt nun den Ver­such, die­sen Ein­fluss nä­her zu be­stim­men.

Lanz trat 1893 in ein Zis­ter­zien­ser­klos­ter ein, ver­ließ es aber nach et­wa einem Jahr wie­der und grün­de­te 1900 den Neu­temp­ler­or­den (Or­di­nis Novi Temp­li, ONT). Er pro­pa­gier­te ei­ne ras­sis­ti­sche Ideo­lo­gie, die die sogenannte "Ario­he­roi­ker" als über­le­gen be­trach­te­te und an­de­re, ins­be­son­de­re Ju­den, als "Äff­lin­ge" dif­fa­mier­te. Sei­ne Schrif­ten, wie die "Theo­zoo­lo­gie" und die Zeit­schrift "Ostara" (ge­grün­det 1905 als "Os­ta­ra, Brief­bü­che­rei der Blon­den und Man­nes­recht­ler", die Zeit­schrift er­reich­te zu ih­ren Hoch­zei­ten eine Auf­la­ge von über 100.000), ver­brei­te­ten die­se ras­sis­ti­schen Vor­stel­lun­gen und fan­den ein in­te­res­sier­tes Pu­bli­kum, da­run­ter Adolf Hit­ler.

Daim belegt, dass Hitler in sei­ner Wiener Zeit re­gel­mä­ßig die "Os­ta­ra" las und von Lanz' Ideen be­ein­flusst wurde. Hit­lers spä­te­re an­ti­se­mi­ti­sche Schrif­ten wei­sen zahl­rei­che Pa­ral­le­len zu Lanz' Theo­rien auf.

Die Studie unterstreicht die Be­deu­tung von Lanz' Wir­ken für die Ent­wick­lung des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Seine ras­sis­ti­sche Ideo­lo­gie schuf einen in­tel­lek­tuel­len Rahmen, in den sich die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Vor­stel­lun­gen ein­füg­ten. Lanz hisste 1907 zum ers­ten Mal auf dem Turm sei­ner Or­dens­burg Wer­fen­stein die Ha­ken­kreuz­fah­ne, sein Ein­fluss auf Hit­ler und an­de­re füh­ren­de Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ist un­be­streit­bar, auch wenn Hit­ler spä­ter ver­such­te, diese Ver­bin­dung zu leug­nen, in­dem er zum Bei­spiel ein Schreib­ver­bot über Lanz ver­häng­te. In­zwi­schen ge­hen His­to­ri­ker da­von aus, dass die Schrif­ten des Lanz we­ni­ger ein­fluss­reich auf Hitlers Ent­wick­lung sei­nes An­ti­se­mi­tis­mus ge­we­sen sind als Daim es dar­legt. Si­cher ist je­doch, dass Lanz eines von vie­len Mo­sa­ik­stein­chen ge­we­sen ist, die das Milieu bil­de­ten, aus dem he­raus der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus sein Po­ten­tial schöpf­te.

Interessant an den Aus­füh­run­gen Daims sind auch die Ver­bin­dun­gen zwi­schen Lanz und Au­gust Strind­berg, der we­nigs­tens zeit­wei­se Mit­glied des Neu­temp­ler­or­dens ge­we­sen ist. Ei­ne mehr­jäh­ri­ge Kor­res­pon­denz zwischen Lanz und Strind­berg ist be­legt. Strind­bergs "Nach Da­mas­kus" und "Blau­buch" le­gen Zeug­nis da­von ab. Eben­so kor­res­pon­dier­te Lanz mit Fritz von Herz­ma­novs­ky-Or­lan­do, dem ös­ter­rei­chi­schen Schrift­stel­ler und Zeich­ner, der für sei­ne ins Phan­tas­ti­sche rei­chen­den Wer­ke be­kannt ist. Sein In­te­res­se galt auch mys­tisch-eso­te­ri­schen Ideen, was ihn in Kon­takt mit Lanz ge­bracht ha­ben dürfte. In­wie­weit er des­sen ras­sis­ti­sches Ge­dan­ken­gut teil­te, ist un­klar.

Wilfried Daim (1923-2016) war ein ös­ter­rei­chi­scher Psy­cho­lo­ge und interessiert an pa­ra­psy­cho­lo­gi­schen Ex­pe­ri­men­ten. 1956 grün­de­te er das Institut für po­li­ti­sche Psy­cho­lo­gie.


Nicholas Good­rick-Clarke: Die ok­kul­ten Wur­zeln des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

23. September 2024

Gelesen : Weiteres : Impressum