Kassiber | ![]() |
||||
|
|||||
Das kulturelle Erbe der Menschheit manifestiert sich in der Vielfalt ihrer Sprachen. Nicholas Evans geht in seiner Analyse davon aus, dass von den derzeit rund 6.000 weltweit gesprochenen Sprachen etwa die Hälfte in den kommenden Jahrzehnten vom Aussterben bedroht ist*. Jede Sprache enthält einzigartige Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Erfahrung, und ihr Aussterben ist nicht weniger dramatisch als das Artensterben in Flora und Fauna. Evans beschreibt die unterschiedlichen Wege der Rekonstruktion untergegangener bzw. untergehender Sprachen, bei der verschiedene Methoden wie Archäologie, Psychologie sowie historische und vergleichende Sprachwissenschaft interdisziplinär zusammenwirken. Besonders komplex gestaltet sich diese Arbeit bei mündlichen Sprachen ohne schriftliche Überlieferung, deren Rekonstruktion aufwändig über Nachfolgesprachen, ethnolinguistische Feldforschung und kulturelle Praktiken erfolgen muss. Die Vielfalt menschlicher Erfahrungen schlägt sich auch lexikalisch nieder. Umweltbedingte Notwendigkeiten führen zu ausdifferenzierten Wortschätzen und grammatikalischen Strukturen, deren Verständnis für Forscher aus sich stark unterscheidenden kulturellen Zusammenhängen kaum überwindbar erscheint. Beispielsweise ließ die U.S. Army die Verschlüsselung ihrer Nachrichten während des Zweiten Weltkriegs durch Angehörige des Navajo-Stamms in ihrer Sprache durchführen, wodurch japanische Decodierer vor unlösbare Probleme gestellt wurden. Evans plädiert aus zweierlei Gründen für ein konsequentes Erforschen der Sprachen, die vielfach vom Aussterben bedroht sind. Zum einen, weil mit ihrem Verschwinden relevantes Wissen verloren ginge – etwa über ökologische Zusammenhänge, landwirtschaftliche Techniken oder bislang unbekannte Tier- und Pflanzenarten. Zum anderen, weil das Durchdringen fremder Sprachen helfe, Varianten sozialer Kognition zu verstehen, Wahrnehmungs- und Denkmuster der Menschen und ihrem spezifischen Zugang zu der Welt, in der sie lebten. Nicholas Evans (*1956), als Feldforscher und Hochschullehrer tätig, konzentriert sich insbesondere auf die indigenen Sprachen Australiens sowie auf die Papua-Sprachen. * „Den zuverlässigsten aktuellen Schätzungen zufolge stirbt alle zwei Wochen irgendwo auf der Welt der letzte Sprecher oder die letzte Sprecherin einer sich bereits am Verstummen befindenden Sprache.“ S. 11 → Sprache 22. Mai 2025 |
|||||
Gelesen : Weiteres : Impressum |