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Autoren Glossen Lyrik

Peter Finn / Petra Couvée: Die Affäre Schiwago Peter Finn / Petra Couvée
Die Affäre Schiwago.
Der Kreml, die CIA und der Kampf um ein ver­botenes Buch.
Theiss Verlag 2016, 384 Seiten
ISBN 978-3-8062-3263-9

Die Veröffentlichung des Ro­mans "Doktor Schiwago" au­ßer­halb der Sowjet­union war ein Poli­tikum aller­ersten Ran­ges während des Kal­ten Krie­ges. Boris Pasternak, zu die­ser Zeit vor allem wegen sei­ner Lyrik hoch an­ge­se­hen, hat­te über Jahre an diesem Ro­man gear­beitet, Teile da­von kur­sier­ten in seinem Freun­des­kreis und darüber hi­naus, das sowje­tische Es­ta­blish­ment war darob not amused und lehnte eine Ver­öf­fent­li­chung kate­gorisch ab. Man warf dem Text eine Ver­ächt­lich­machung sowje­ti­scher Idea­le und Ge­schich­te vor und fürchtete die Pro­pa­gan­da des Westens, die sich das zu­nutze machen würde. Pas­ter­nak wiederum lehnte Ein­grif­fe in den Text ab, für ihn war es sein Opus mag­num, wie er sich immer wie­der Freunden und aus­län­di­schen Jour­na­lis­ten ge­gen­über äu­ßer­te.

Giangiacomo Feltrinelli, ei­ner der reichsten Fa­mi­lien Ita­liens entstammend, Ver­le­ger und spen­dables Mitglied der Kom­mu­nistischen Partei Ita­liens (KPI), war zu dieser Zeit auf der Suche nach einem spek­ta­ku­lä­ren Ver­kaufs­er­folg für seinen noch jungen Ver­lag und schickte einen seiner Mit­ar­bei­ter in die Sow­jet­union, um in Ver­bindung mit Pas­ter­nak zu treten. Der re­agier­te be­geis­tert in der Aus­sicht auf eine Ver­öf­fent­li­chung im west­li­chen Aus­land, ahnte aber auch schon, dass das nicht ohne Kon­se­quen­zen für ihn bleiben wür­de. Dennoch stimm­te er einer Ver­öf­fent­li­chung zu, man be­gann damit, das Ma­nu­skript durch ge­hei­me Ka­nä­le außer Lan­des zu brin­gen.

In den 50er Jahren bestand ei­ne der Stra­tegien der CIA zur Schwächung des Kom­mu­nis­mus darin, finan­ziellen und perso­nellen Ein­fluss auf li­be­ra­le und linke Organi­sa­tionen zu neh­men. Man för­der­te kri­tische, aber nicht direkt anti­sowje­tische Li­te­ra­tur und brachte sie millio­nenfach in die Sowjet­union. So gelangte ein, wenn auch ver­stüm­mel­tes, Ma­nus­kript des "Doktor Schiwago" in den Besitz der CIA, die sich sofort daran machte, eine russisch­spra­chige Aus­gabe vorzu­bereiten. Dafür trat man mit dem nie­der­ländischen Ge­heim­dienst in Ver­bin­dung, dem gute Kon­tak­te zum Den Haager Mou­ton Verlag nach­gesagt wur­den, in dem der Ro­man er­schei­nen soll­te, man woll­te je­de Ver­bin­dung zu den USA ver­mei­den.

1957 erscheint der Roman in Ita­lien, 1958 wird er auf der Welt­ausstellung in Brüs­sel in rus­sischer Sprache im Pa­vil­lon des Vatikan verteilt, von wo aus er – wie geplant – in die Sowjetunion gelangt. Dort wird Pasternak, seine Familie und Un­ter­stüt­zer un­ter erheb­lichen Druck ge­setzt. Man schließt ihn aus dem Sow­je­tischen Schrift­steller­verband aus, in öf­fent­li­chen Reden und Zeitungs­ar­ti­keln wird er aufs Übelste be­schimpft und be­droht. Ganz besonders, als ihm 1958 der Li­te­ra­tur­no­bel­preis zu­ge­spro­chen wird. Den Pas­ter­nak schließlich ab­lehnt. Die Kam­pagne gegen ihn geht weiter, was wie­derum nam­haf­te westliche Au­to­ren (T.S. Eliot, Somer­set Maug­ham, Bertrand Rus­sell etc) ver­an­lasst, öf­fent­lich für ihn Stel­lung zu be­zie­hen. Pas­ter­nak wendet sich direkt an Ni­ki­ta Chruscht­schow, Mi­nis­ter­prä­si­dent der Sowjet­union, und erklärt, dass es nie­mals sei­ne Ab­sicht ge­we­sen sei, an­ti­sow­jetische Pro­pa­gan­da zu unter­stützen und er im Ge­gen­teil der Ansicht ist, der sow­je­tischen Li­te­ra­tur noch gu­te Dienste erweisen zu kön­nen. Man ist nun von of­fi­zi­el­ler Seite bemüht, die Si­tu­a­tion, die immer noch für gro­ßes Auf­sehen im Ausland sorgt, zu ent­spannen, ver­langt von Pasternak aber wei­te­re öffent­liche Distan­zierun­gen, die der aber ver­wei­gert.

Pasternaks gesundheitlicher Zu­stand ver­schlech­tert sich un­ter diesen Umständen ste­tig, am 30. Mai 1960 erleidet er einen Herzinfarkt, den er nicht überlebt. Am Tag der Bei­set­zung spielen einige der bes­ten Pianisten des Landes ab­wechselnd Trauer­lieder im Gar­ten des Hauses, in dem Pasternak aufgebahrt liegt. Dem an­schließenden Trauer­zug fol­gen ei­ni­ge hundert (anderen Quellen zufolge ei­ni­ge tau­send) Anhänger des großen Lyrikers und Ro­man­ciers. Die Beerdigung wird von Agen­ten der Ge­heim­polizei beobachtet, Kollegen tra­gen sei­ne Gedich­te vor.

Die Familie Pasternaks, sei­ne Ge­lieb­te und de­ren Toch­ter wer­den wei­ter beob­ach­tet und Ver­hö­ren un­ter­zo­gen, die bei den bei­den letzt­ge­nann­ten zu mehr­jäh­ri­gen Haft­stra­fen (Zwangs­ar­beit) füh­ren. Chruscht­schow, der den Ro­man erst nach sei­ner 1964 er­folg­ten Macht­ab­set­zung las, fand nichts Anti­sow­je­ti­sches darin und eine Ironie der Geschichte ist es wohl, dass er seine Memoiren eben­falls im Aus­land ver­öf­fent­lichen las­sen musste. Dok­tor Schi­wa­go durfte erst En­de der 80er Jah­re in der dem Zer­fall ent­ge­gen schwan­ken­den Sow­jet­union er­schei­nen.

Peter Finn ist Redakteur der "Washington Post", deren Mos­kau­er Korrespondent er lan­ge gewesen ist. Petra Cou­vée hatte sich schon frü­her mit der Rolle des nie­der­län­dischen Geheim­dienstes be­fasst, die die­ser bei der Ver­öf­fent­li­chung der rus­sisch­spra­chi­gen Aus­gabe des "Schi­wa­go" ge­spielt hat­te.

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20. April 2021

Über Literatur

Jobst C. Knigge: Fel­tri­nelli – Sein Weg in den Ter­ro­ris­mus

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