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Als am 10. Mai 1933 die Scheiterhaufen mit Werken genährt wurden, deren Inhalte den Brandstiftern unerträglich waren, fehlte ein Name bei diesem Autodafé: der des "Heimatdichters" Oskar Maria Graf. Graf befand sich zu dieser Zeit, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Mirjam Sachs, zufällig in Österreich und erfuhr aus der Zeitung über das Geschehen. Am 12. Mai wandte er sich in der "Arbeiterzeitung", dem Zentralorgan der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs, unter der Überschrift "Verbrennt mich!" mit dem folgenden Text an die Öffentlichkeit: Verbrennt mich!
Das Dritte Reich hat fast das ganze deutsche Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirklichen deutschen Dichtung, hat die größte Zahl seiner wesentlichsten Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht. Die Ahnungslosigkeit einiger wichtigtuerischer Konjunkturschreiber und der hemmungslose Vandalismus der augenblicklich herrschenden Gewalthaber versuchen all das, was von unserer Dichtung und Kunst Weltgeltung hat, auszurotten und den Begriff ,deutsch' durch engstirnigsten Nationalismus zu ersetzen. Ein Nationalismus, auf dessen Eingebung selbst die geringste freiheitliche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf dessen Befehl alle meine aufrechten sozialistischen Genossen verfolgt, eingekerkert, gefoltert, ermordet oder aus Verzweiflung in den Freitod getrieben werden! Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus, der mit Deutschsein nichts, aber auch schon gar nichts zu tun hat, unterstehen sich, mich als einen ihrer ,Geistigen' zu beanspruchen, mich auf ihre sogenannte weiße Liste zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann! Diese Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach! Ein Jahr später wurden seine Bücher in einer eigens für ihn angesetzten Bücherverbrennung nachträglich vernichtet und seine Werke in Deutschland verboten. Oskar Maria Graf kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück, wurde 1934 ausgebürgert und blieb bis 1957 staatenlos. Er floh über die Niederlande in die USA, wo ihm die Einbürgerung zwei Jahrzehnte lang verwehrt blieb. Man beobachtete ihn, das FBI legte eine Akte an. Erst 1957 erhielt er die US-Staatsbürgerschaft, nachdem man eine Passage aus der Eidesformel gestrichen hatte, die ihn verpflichtet hätte, das Land mit der Waffe zu verteidigen. So blieb er seinem Pazifismus treu, der ihn während des Vietnam-Kriegs auch veranlasste, einen Appell an Papst Paul VI. zu richten, in dem er ihn aufforderte, das biblische Gebot "Du sollst nicht töten" den Gläubigen gegenüber als ernstzunehmende Maxime zu benennen. Graf reiste noch einige Male zu Lesungen aus seinem Werk nach Deutschland, mit der gesellschaftlichen Entwicklung dort konnte er sich allerdings nicht anfreunden, er kehrte immer wieder zurück in die USA, wo er 1967 verstarb. ---------------------------- 10. Mai 2023 |
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