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Michael Köhlmeier Umblättern und andere Obsessionen Michael Köhlmeier
Umblättern und andere Ob­ses­sio­nen.
Nachwort von Karl-Mar­kus Gauß.
Edition 5Plus 2015, 101 Sei­ten

Der Übergang von der Bi­blio­phi­lie zur Bi­blio­ma­nie kann fließend sein. Die Familie des Erzählers re­prä­sen­tiert die ver­schie­de­nen Spielarten der Buch­lieb­ha­be­rei. Die Schwes­ter und ihre Freun­din­nen ver­schlin­gen alles, was ih­nen lesenswert er­scheint, um sich so schnell wie möglich über das nächs­te Buch hermachen zu kön­nen; die Mutter liest ih­re ge­lieb­ten Bücher immer wieder bis sie dro­hen aus­ei­nan­der zu fallen; der Vater sammelt schön ausgestattete Werke, die Inhalte sind von se­kun­dä­rer Bedeutung und der Er­zäh­ler selbst kann schon als Kind keinen Schlaf finden, wenn sich nicht die 12-bän­di­ge Ausgabe des Großen Her­der in greifbarer Nä­he des Bettes befindet. Da­bei kann er noch gar nicht le­sen, wird auch später – als Le­gas­the­ni­ker – seine Schwie­rig­kei­ten damit ha­ben. Aber das Buch an sich, als Gan­zes, hat ihn in seinen Bann ge­zo­gen und lässt ihn nicht mehr los: der Ge­ruch, die Bin­dung, wie sich die Seiten um­blät­tern lassen und wel­ches Geräusch sie da­bei er­zeu­gen, die Ge­stal­tung des Schrift­bil­des, das Ge­wicht in der Hand, einfach alles.

Der Erzähler lässt uns immer wie­der in die Ab­grün­de der Bi­blio­ma­nie blicken: Dieb­stahl, Morde so­gar, Magister Ti­nius, der in seiner Lei­den­schaft für Bü­cher buch­stäb­lich über Lei­chen ging. Aber auch der Er­zäh­ler selbst wird zum Dieb. Nicht nur aus ei­ge­nem Antrieb. Beim Besuch ei­ner Party zum Bei­spiel, auf der der Gastgeber mit seinen bi­blio­phi­len Schät­zen die Gäs­te beeindrucken woll­te (in der Zeit, in der die Hand­lung spielt, ca. 1960, hat das noch funktioniert), fordert ihn sein Vater auf, ei­ne be­stimm­te Ausgabe von Mallarmés "Ein Wür­fel­wurf" unter seinen Pul­lo­ver zu stecken. Der Gast­ge­ber hat­te vorher das Buch (eine zwei­spra­chi­ge li­mi­tier­te Ausgabe in einer Le­der­kas­set­te, das Buch selbst in schwarzes Leder ein­ge­bun­den mit Innenspiegel und Vor­sät­zen in weißen Leder und vergoldeten Titeln), ein Ge­schenk an seine Frau, die sich über­haupt nicht dafür in­te­res­sier­te, vor­ge­stellt und da­bei eine Wand­lung voll­zo­gen:

"In diesem Moment kehrte er zu sich selbst zurück. Da­mit mei­ne ich, er legte die Pose des Tyrannen ab. Er war wie­der der bescheidene, freund­li­che Herr, wie er uns bei der Be­grü­ßung ent­ge­gen­ge­tre­ten war. Das Buch in seiner Hand hatte nun al­lein Ge­brauchs­wert, es wollte nur be­ses­sen, ge­strei­chelt und ge­le­sen wer­den, nicht ge­tauscht, nicht ver­kauft, und ein Symbol war es auch nicht. Es war mit Sorgfalt und Kennt­nis und Liebe um ein Ge­dicht herum gebaut wor­den, das ein Rät­sel ist und immer bleiben wird. Ein Leuch­ten trat in seine Au­gen, er beugte sich zu meiner Mut­ter nieder und leg­te ihr den Band in den Schoß – und seine Fin­ger pro­tes­tier­ten nicht da­ge­gen." (S. 63)

Doch das Buch wandert zu­rück ins Regal, wo es der Jun­ge spä­ter stehlen soll. In der Auf­re­gung greift er ein an­de­res (Schle­gel: Gespräch über die Poe­sie, ein roter Le­der­band "mit der Hand auf ei­gens ge­schöpf­tes Zanders-Hand­büt­ten in ein­hun­dert­fünf­zig Exem­pla­ren gedruckt und mit der Hand ge­bun­den" (S.69)), das sein Vater zum nächs­ten Ge­burts­tag sei­ner Mut­ter schen­ken wird.

Schön erzählte Episoden aus dem Leben eines Buch­lieb­ha­bers, hinter dem man durch­aus den Au­tor und sei­ne Ob­ses­sio­nen vermuten darf, er­schie­nen in der bi­blio­phil aus­ge­stat­te­ten Ausgabe (hand­num­me­riert und li­mi­tiert) bei der Edition 5plus (zu der die Buchhandlungen Klaus Bitt­ner in Köln, Dom­brows­ky in Regensburg, Fe­lix Jud in Ham­burg, Lehm­kuhl in Mün­chen, Leporello in Wien, Librium in Ba­den/­Schweiz, Schlei­cher in Ber­lin und zum Wetzstein in Frei­burg ge­hö­ren).

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15. Januar 2024

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