Kassiber | |||||
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Michael Köhlmeier Der Übergang von der Bibliophilie zur Bibliomanie kann fließend sein. Die Familie des Erzählers repräsentiert die verschiedenen Spielarten der Buchliebhaberei. Die Schwester und ihre Freundinnen verschlingen alles, was ihnen lesenswert erscheint, um sich so schnell wie möglich über das nächste Buch hermachen zu können; die Mutter liest ihre geliebten Bücher immer wieder bis sie drohen auseinander zu fallen; der Vater sammelt schön ausgestattete Werke, die Inhalte sind von sekundärer Bedeutung und der Erzähler selbst kann schon als Kind keinen Schlaf finden, wenn sich nicht die 12-bändige Ausgabe des Großen Herder in greifbarer Nähe des Bettes befindet. Dabei kann er noch gar nicht lesen, wird auch später – als Legastheniker – seine Schwierigkeiten damit haben. Aber das Buch an sich, als Ganzes, hat ihn in seinen Bann gezogen und lässt ihn nicht mehr los: der Geruch, die Bindung, wie sich die Seiten umblättern lassen und welches Geräusch sie dabei erzeugen, die Gestaltung des Schriftbildes, das Gewicht in der Hand, einfach alles. Der Erzähler lässt uns immer wieder in die Abgründe der Bibliomanie blicken: Diebstahl, Morde sogar, Magister Tinius, der in seiner Leidenschaft für Bücher buchstäblich über Leichen ging. Aber auch der Erzähler selbst wird zum Dieb. Nicht nur aus eigenem Antrieb. Beim Besuch einer Party zum Beispiel, auf der der Gastgeber mit seinen bibliophilen Schätzen die Gäste beeindrucken wollte (in der Zeit, in der die Handlung spielt, ca. 1960, hat das noch funktioniert), fordert ihn sein Vater auf, eine bestimmte Ausgabe von Mallarmés "Ein Würfelwurf" unter seinen Pullover zu stecken. Der Gastgeber hatte vorher das Buch (eine zweisprachige limitierte Ausgabe in einer Lederkassette, das Buch selbst in schwarzes Leder eingebunden mit Innenspiegel und Vorsätzen in weißen Leder und vergoldeten Titeln), ein Geschenk an seine Frau, die sich überhaupt nicht dafür interessierte, vorgestellt und dabei eine Wandlung vollzogen: "In diesem Moment kehrte er zu sich selbst zurück. Damit meine ich, er legte die Pose des Tyrannen ab. Er war wieder der bescheidene, freundliche Herr, wie er uns bei der Begrüßung entgegengetreten war. Das Buch in seiner Hand hatte nun allein Gebrauchswert, es wollte nur besessen, gestreichelt und gelesen werden, nicht getauscht, nicht verkauft, und ein Symbol war es auch nicht. Es war mit Sorgfalt und Kenntnis und Liebe um ein Gedicht herum gebaut worden, das ein Rätsel ist und immer bleiben wird. Ein Leuchten trat in seine Augen, er beugte sich zu meiner Mutter nieder und legte ihr den Band in den Schoß – und seine Finger protestierten nicht dagegen." (S. 63) Doch das Buch wandert zurück ins Regal, wo es der Junge später stehlen soll. In der Aufregung greift er ein anderes (Schlegel: Gespräch über die Poesie, ein roter Lederband "mit der Hand auf eigens geschöpftes Zanders-Handbütten in einhundertfünfzig Exemplaren gedruckt und mit der Hand gebunden" (S.69)), das sein Vater zum nächsten Geburtstag seiner Mutter schenken wird. Schön erzählte Episoden aus dem Leben eines Buchliebhabers, hinter dem man durchaus den Autor und seine Obsessionen vermuten darf, erschienen in der bibliophil ausgestatteten Ausgabe (handnummeriert und limitiert) bei der Edition 5plus (zu der die Buchhandlungen Klaus Bittner in Köln, Dombrowsky in Regensburg, Felix Jud in Hamburg, Lehmkuhl in München, Leporello in Wien, Librium in Baden/Schweiz, Schleicher in Berlin und zum Wetzstein in Freiburg gehören). ---------------------------- 15. Januar 2024 |
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