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Dieter Kühn Schillers Schreibtisch in Buchenwald Dieter Kühn
Schillers Schreibtisch in Buchen­wald. Bericht.
S. Fischer Verlag 2005, 253 Sei­ten
ISBN 3-10-041509-3

Als alliierte Luft­streit­kräf­te da­mit be­gan­nen deut­sche Städ­te zu bom­bar­die­ren, ent­schloss sich die Lei­tung des Schil­ler­hau­ses in Wei­mar und zu­stän­di­ge NS-Funk­ti­o­nä­re da­zu, Du­pli­ka­te einiger Mö­bel­stü­cke aus Schil­lers Besitz an­fer­ti­gen zu lassen, um sie statt der Ori­gi­na­le, die sicher ein­ge­la­gert werden soll­ten, dem Pu­bli­kum zu zeigen.

Oberhalb von Weimar, auf dem Et­ters­berg, befand sich seit 1937 das Kon­zen­tra­tions­la­ger Bu­chen­wald [1], in dem zahl­rei­che Produktionsstätten vor al­lem der Rüstung und dem Ei­gen­be­darf der SS zu­ar­bei­te­ten. "Am 14. Mai 1942 wur­den Schil­lers Schreib­tisch, sein Ster­be­bett, das 'Spinett', ein Lehn­stuhl und ein Stuhl mit 'Le­der­be­zug' in das Kon­zen­tra­tions­la­ger transportiert" (S. 22), um in der Tischlerei du­pli­ziert zu wer­den. Im Juni 1943 wur­den die nach­ge­bau­ten Stü­cke ins Schil­ler­haus ge­bracht, die Originale im Nietz­sche-Archiv de­po­niert.

Anlässlich einer Lesung in Wei­mar Ende der 90er Jah­re des 20. Jahrhunderts erfährt Die­ter Kühn von diesem Vor­gang und ent­wi­ckelt ein Pro­jekt, das die Hin­ter­grün­de be­leuch­ten soll. Das vor­lie­gen­de Buch ist der Be­richt über die­se um­fang­rei­che Recherche.

Er geht dabei zweigleisig vor. Schil­lers Flucht aus Stutt­gart un­ter falschem Namen, um dem Einfluss Her­zogs Carl Eu­gen zu entkommen und ei­ner dro­hen­den Festungs­haft. Die ver­schie­de­nen Sta­tio­nen bis zu sei­ner Ankunft und Kon­so­li­die­rung sei­ner Exis­tenz in Weimar, so­wie die li­te­ra­ri­schen Wer­ke, die er in die­ser Zeit schuf, wer­den um­ris­sen.

Der zweite Strang der Re­cher­che befasst sich mit der Ent­wick­lung Schillers zum Na­tio­nal­dich­ter des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, Passagen seines Werks, die in dieser Zeit eine ent­spre­chen­de Interpretation er­fuh­ren, werden zitiert und in den Kon­text des Werks ge­stellt. Sehr detailliert wird auch die Ge­schich­te des Kon­zen­tra­tions­la­gers Buchenwald be­schrie­ben, die Art und Be­hand­lung der Häft­lin­ge, die Or­ga­ni­sa­tion in­ner­halb des La­gers so­wie die Herstellung der Mö­bel­du­pli­ka­te Schil­lers.

Kühn lässt die Leser*innen auch an seinen Ge­dan­ken und Plä­nen teilhaben, die die­se Re­cher­che und den Be­richt da­rü­ber strukturiert ha­ben. Stre­cken­wei­se eine fas­zi­nie­ren­de Lek­tü­re.

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1. Das Lager bestand von 1937 bis zur Befreiung am 11. Ap­ril 1945. Pro­mi­nen­te Häftlinge wa­ren der kon­ser­va­ti­ve Au­tor Ernst Wie­chert und Bruno Apitz ("Nackt un­ter Wöl­fen"). Die Zahl der To­des­opfer in dem Lager wird auf et­wa 56.000 ge­schätzt. 1945 ging das Lager in sow­je­ti­sche Ver­wal­tung über, die bis 1950 be­ste­hen blieb. In die­ser Zeit wur­den dort ca. 28.000 Men­schen in­ter­niert, ca. 7000 star­ben. Jetzt be­fin­det sich dort ei­ne Ge­denk­stät­te.

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25. Juni 2023

Geschichte

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