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Ellen Kuhn Blut Stolz Fernweh und andere Mysterien Ellen Kuhn
Blut, Stolz, Fernweh und andere Mysterien. Essays.
tredition 2024, 200 Sei­ten, ISBN 978-3-384-16237-3

In neun Essays und ei­nem Pro­log gibt uns die Au­to­rin Ein­bli­cke in ih­re Art der re­flek­tier­ten Wahr­neh­mung ih­rer Um­ge­bung und dem da­mit ein­her­ge­hen­den Pro­zess der Be­wusst­wer­dung ih­rer selbst. Ob es eine Elo­ge auf das Le­sen am Bei­spiel der Lek­tü­re von "Un­end­li­cher Spaß" von Da­vid Fos­ter Wallace ist oder die Aus­ei­nan­der­set­zung mit dem ei­ge­nen Schmerz, ob es die Ana­ly­se der ver­schie­de­nen For­men des Stol­zes ist oder ih­re Ge­dan­ken über Ob­dach­lo­sig­keit, al­lem ge­mein­sam ist das Pro­zess­haf­te von Wahr­neh­mung, Re­fle­xion und Rück­kopp­lung mit der sie um­ge­ben­den Rea­li­tät. Ellen Kuhn hat eine Me­tho­do­lo­gie ent­wi­ckelt, mit der sie Wahr­ge­nom­me­nes aus ver­schie­de­nen Blick­win­keln be­leuch­tet, um es mit ih­ren ge­dank­li­chen und emo­tio­na­len Re­ak­tio­nen kor­res­pon­die­ren zu las­sen. Das ge­schieht mit ei­ner Sen­si­bi­li­tät und Of­fen­heit, der man sich als Le­ser*in nicht ent­zie­hen kann. Da­bei geht es nicht um ex­hi­bi­tio­nis­ti­sche Selbst­dar­stel­lung, son­dern im­mer um das Be­stre­ben nach Er­kennt­nis in ihrer Viel­schich­tig­keit.

Besonders be­ein­dru­ckend wird das in dem Essay, in dem Ellen Kuhn ihr Ver­hält­nis zur ei­ge­nen Mens­tru­a­tion und den da­mit ver­bun­de­nen Er­fah­run­gen schil­dert und sich wei­ter­ge­hend mit der evo­lu­tio­nä­ren Be­deu­tung des Zyklus und sei­nen kul­tu­rel­len, his­to­ri­schen und phy­sio­lo­gi­schen Be­son­der­hei­ten aus­ei­nan­der­setzt. So ent­steht ne­ben­bei, nein, aus me­tho­do­lo­gi­schen Grün­den eine Art Kul­tur­ge­schich­te der Mens­tru­a­tion. Es ist der um­fang­reichs­te Es­say des Bu­ches und (für mich) der fas­zi­nie­rends­te.

Die bewusste Aus­ei­nan­der­set­zung mit der Umwelt und – in en­ger Kor­res­pon­denz da­mit – dem ei­ge­nen Selbst und sich die­ses Vor­gangs mit sei­nen Wi­der­sprü­chen und Gren­zen eben­falls be­wusst zu sein, scheint mir die Es­senz die­ser le­sens- und be­mer­kens­wer­ten Tex­te zu sein.

Ellen Kuhn (*1986) lebt als di­gi­ta­le Nomadin – sie selbst be­zeich­net sich lieber als Kos­mo­po­li­tin und – nach Bruce Chat­win – ho­ri­zont­süch­ti­ge Wan­de­rin – mit ih­rem Le­bens­ge­fähr­ten an wech­seln­den Or­ten rund um den Erd­ball. Sie war Ma­na­ge­rin in ei­nem in­ter­na­tio­na­len Un­ter­neh­men be­vor sie sich dem Schreiben zu­wand­te. Da­rü­ber hi­naus ist sie als Fo­to­künst­le­rin und Un­ter­neh­me­rin ak­tiv.


→ Website Ellen Kuhn

15. Juli 2024

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