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Salcia Landmann Laut Salcia Landmann und Franz J. Beranek, der das Vorwort verfasste, ist Jiddisch eine "Nahsprache des Deutschen". Es entstand im späten Mittelalter aus deutschen Dialekten und wurde erst im osteuropäischen Raum unter slawischen Einflüssen und der Beimengung von Sprachelementen aus anderen Sprachen zu einer eigenen Sprache [1], die mit dem Deutschen ähnlich verwandt ist wie das Niederländische. Das Jiddische galt vielen als Kauderwelsch und "aufgeklärte" Juden wie Moses Mendelssohn (1729 – 1786) stritten dafür, es zugunsten der jeweiligen Landessprachen aufzugeben. Doch in den osteuropäischen jüdischen Gemeinden gelangte Jiddisch mit der Zeit zu einer Kultursprache mit einer selbstständigen Literatur. Die bekanntesten jiddisch schreibenden Autoren dürften Scholem Alejchem (1859 – 1916), Schalom Asch (1880 – 1957), Jizchak Katzenelson (1886 – 1944), dessen "Dos Lid funm ojsgehargetn jidischen folk" unter anderem von Wolf Biermann später ins Deutsche übertragen worden ist [2], sowie Jizchok Leib Perez (1852 – 1915) und Isaac Bashevis Singer (1904-1991) sein, der 1978 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Doch das Jiddische ist eine sterbende Sprache, befürchtet Salcia Landmann, der Shoah fielen Millionen osteuropäische Juden zum Opfer. Zwar gebe es in Israel, den USA und Südamerika noch jüdische Gemeinden, in denen vorwiegend jiddisch gesprochen wird, aber die Impulse [3], die eine lebende Sprache braucht, um zu überleben, würden mit jeder Generation weniger und ein Ende sei absehbar. Ein eigenes Kapitel widmet die Autorin den Einflüssen des Jiddischen auf das Rotwelsch, einer Sprache der Gauner und Fahrenden. Durch den Ausschluss der Juden aus bürgerlichen Berufen verdienten viele ihren Unterhalt als fahrende Händler, Berührungspunkte mit anderen umherziehenden Gruppen bestanden also reichlich. Ein Kapitel mit Leseproben jiddischer Anekdoten in jiddisch und deutsch, ein jiddisches Lexikon sowie eine kommentierte Bibliographie beschließen den Band. Verstörend fand ich Begriffe wie "Wirtsvölker" und "Bluterbe" sowie Passagen wie die folgende: "Diese gleiche konservative Haltung, diese Traditionstreue ließ sie (die Juden KM) nun auch inmitten einer rückständigen, primitiven slawischen Welt an der weit höher entwickelten Kultur und Sprache der verlorenen deutschen Heimat festhalten." S. 27 Salcia Landmann (1911 – 2002) studierte Philosophie bei Nicolai Hartmann und Herman Schmalenbach, 1939 promovierte sie an der Universität Zürich mit einer Dissertation über "Phänomenologie und Ontologie. Husserl, Scheler, Heidegger.", bekannt geworden ist sie mit ihren Publikationen über jüdische Witze. ---------------------------- 1. "Und hier nun, im Osten, wurde dieses Judendeutsch zur wirklichen Sprache. Hier erhielt es Nuancen und Farbe aus der slawischen Umwelt. Hier bekam es Schliff, Eleganz und Schärfe aus dem pausenlosen Studium des hebräisch-aramäischen Schrifttums der nachbiblischen Zeit mit seinen metaphysischen und juristischen Debatten. Und es bewahrte den vollen Klang und altertümlichen Reiz des Mittelhochdeutschen." S. 27f 2. Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk. Köln 1994 3. "Die jiddische Sprache stirbt, weil die Preisgabe der eigenen, der semitischen geistig-geistlichen Tradition der Juden ihr den Lebensquell, die formende, bildende Kraft raubt, so daß sie, selbst wenn sie noch ein Weilchen existieren sollte, zu dem wird absinken müssen, was sie in den Augen des Westens auch in ihrer Blütezeit und blühenden Form gewesen ist: zu einem Jargon." S. 44 ---------------------------- 1. September 2023 → Sprache |
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