MAUER, f. murus.
1)
frühes lehnwort aus dem lateinischen, ahd. mûri, mûre, mûra, mhd.
miure, mûre, mûr, alts. mûra, fries. mûre. geschlecht und form
des wortes lehren, dasz die entlehnung nicht aus der büchersprache,
sondern im täglichen leben erfolgt sei, dergestalt, dasz man es
aus dem munde jener südgallischen werkmeister empfieng, welche
seit den zeiten Karls des groszen den steinbau in Deutschland
heimisch machten und deren bauweise das ganze frühe mittelalter
hindurch maszgebend war; und die formen mûri, sowie mûre, moure,
maure, deren endvocal wol nur schwächung des i ist, deuten auf
die entlehnung der singularform aus der römischen pluralform hin
und erklären dadurch zugleich auch die umsetzung des geschlechts
aus dem männlichen in das weibliche, worauf übrigens auch das
sinnverwandte deutsche want paries einwirken mochte. im gegensatze
zu dem ahd. altniederd. mûra steht das angelsächsische, übrigens
seltene mûr, sowie das davon ausgehende altnord. mûrr, als masc.,
ist also in anderer weise in diese sprachen gekommen.
2)
mauer meint zufrühest die zur sicherung oder befestigung um einen
hof oder einen ort gezogene. daz wir mit mûren und mit graben
die stat vil wol versichert haben. troj. krieg 13341; und es kann
in dieser bedeutung der sing. stehen, das ganze einer solchen
befestigung, da es zusammenhängend und fortlaufend ist, collectiv
angebend, oder auch der plural, die einzelnen theile des befestigenden
baues kennzeichnend: und ward ain markt dar gemacht und ward mit
ainer mur umbfangen. ... ists aber ein haus auf dem dorfe, da
keine maur umb ist, das sol man dem feld des lands gleich rechen.
ein man der seinen geist nicht halten kan, ist wie eine offene
stad on mauren. da maur und wall uns unsre freiheit hemmet. mauer
eines ufers, mauer um einen hof, einen garten, einen park, einen
brunnen, quell u. ähnl.
3)
mauer, die steinerne wand eines hauses, gebäudes: durch solche
mittel sollte nun eine feste mauer, eine undurchdringliche wand,
die sich noch dazu als base zweier himmelhoher thürme anzukündigen
hatte, dem auge ... leicht und zierlich erscheinen.
4)
der plur. mauern, als synekdoche für das gemauerte haus: und wenn
deine braut, wie eine wohlfeile dirne, den umarmungen deines todfeindes
wäre zugeschleppt worden, wo ihre unschuld nur thränen zu waffen,
nur taube mauren zu hörern hatte? Kassandra; wenn mich mein böses
mädchen plagte, wenn der verdrusz mich aus den mauern jagte, war
ich verwegen gnug und wagte dich aufzusuchen, eh es tagte, auf
deinen feldern, die du liebst. GÖTHE 56, 59; der geselle zieht
dem staate keine kinder, trägt keine einquartierung, bezahlt wenig
schatzung, und fleugt bei dem geringsten ungewitter über die mauer
(entfernt sich leicht aus einer stadt). MÖSER phant. 1, 289.
5)
die mauer in sprichwort und redensarten: wolten alles mit dem
kopf durch die mauren, man solte den bund mit feuer und schwert
dempfen. SCHÜTZ 160; keine henne fliegt über die mauern, gallinae
moeniae non transvolunt. die mauern machen das kloster nicht.
nimmer wird es (Padua) nun, ich weisz es, durch barbaren unterjocht:
eure panzer sind wie mauern, euer busen ist ein wall!
6)
mauer bildlich; von personen: ich bin eine maur, und meine brüste
sind wie thürne, da bin ich worden fur seinen augen, als die frieden
findet. hohel. 8, 10; ich horcht umher, und fand, der vogelbauer,
aus dem der süsze schall sich wand, sei ein gezelt von myrten
und akanth, durch dessen dicht verwebte mauer die sonne selbst
zu sehn nicht möglich fand. WIELAND 17, 150 (Idris 3, 33); von
eigenschaften: unschuld ist die beste mauer, fortissimum praesidium,
portus et ara innocentia est. STIELER 1256; die schicklichkeit
umgibt mit einer mauer das zarte leicht verletzliche geschlecht.
GÖTHE 9, 143.
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