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Peter Michalzik Die Liebe in Gedanken Peter Michalzik
Die Liebe in Gedanken. Die Ge­schichte von Boris Pas­ter­nak, Marina Zwetajewa und Rainer Maria Rilke.
Aufbau Verlag 2019, 333 Sei­ten, ISBN 9783351037673

Peter Michalzik be­han­delt in sei­nem Buch "Die Liebe in Ge­dan­ken" die Dichter Bo­ris Pas­ter­nak, Ma­ri­na Zwe­ta­je­wa und Rai­ner Ma­ria Rilke, aus de­ren um­fang­rei­chen Brief­wech­seln er die Jahre ih­rer poe­ti­schen Lie­be re­kon­stru­iert. Weitere Quel­len sind sach­kun­di­ge Bio­gra­fien über die­se Dich­ter, die zu den be­deu­tends­ten ihrer Zeit zäh­len. "Die­ses Buch ba­siert nicht auf ei­ner wah­ren Ge­schich­te, es ver­sucht ei­ne wah­re Ge­schich­te zu er­zäh­len." (S.320)

Pasternak, der später "Dok­tor Schi­wa­go" schrieb und den Li­te­ra­tur­no­bel­preis verliehen be­kam, lebte in Russ­land, wäh­rend Zwe­ta­je­wa viele Jah­re im Exil in Prag und Frank­reich ver­brach­te und Ril­ke sei­nen Wohn­sitz in die Schweiz ver­leg­te, wo er ei­ni­ge Zeit in ei­nem Sa­na­to­rium auf Hei­lung hoff­te.

Das Buch ist in fünf Tei­le ge­glie­dert und be­ginnt mit den Jah­ren 1918 bis 1925, als Zwe­ta­je­wa und Pas­ter­nak sich bei Le­sun­gen erst­mals tra­fen und ei­ne Kor­res­pon­denz be­gan­nen. Der zentrale Teil des Buches kon­zen­triert sich auf das Jahr 1926, als Pas­ter­nak den Brief­wech­sel um Rilke er­wei­ter­te. Trotz in­ten­si­ver Be­mü­hun­gen kam es zu kei­ner sta­bi­len Drei­er­kom­mu­ni­ka­tion. Statt­des­sen ent­stan­den in­di­vi­du­el­le Be­zie­hun­gen: Zwe­ta­je­wa und Pas­ter­nak blieben in Kon­takt, und Zwe­ta­je­wa be­gann einen ei­ge­nen Brief­wech­sel mit Ril­ke.

Michalzik beleuchtet die per­sön­li­chen und li­te­ra­ri­schen Ver­bin­dun­gen zwi­schen den Dich­tern, ih­re un­ter­schied­li­chen An­sich­ten zur rus­si­schen Re­vo­lu­tion und die Schwie­rig­kei­ten ih­rer Kom­mu­ni­ka­tion auf­grund der po­li­ti­schen La­ge und der geo­gra­fi­schen Distanz. Er be­schreibt, wie Pas­ter­naks und Zwe­ta­je­was Ver­hält­nis von ge­gen­sei­ti­ger Fas­zi­na­tion und Miss­ver­ständ­nis­sen ge­prägt war, wäh­rend Ril­ke in seinem letz­ten Le­bens­jahr für bei­de auf un­ter­schied­li­che Weise ei­ne be­deu­ten­de Rol­le spiel­te. Ge­dich­te ent­stan­den, wurden den an­de­ren zu­ge­schickt, eben­so wie hand­ko­pier­te Brie­fe – meist von Rilke an Zwe­ta­je­wa, die sie an Pas­ter­nak wei­ter leitete.

Der biografische Bericht en­det nach Rilkes Tod, als die Ver­bin­dung zwi­schen Pas­ter­nak und Zwe­ta­je­wa zwar fort­be­stand, aber die er­hoff­te Nä­he nie wirk­lich er­reicht wur­de.

Die Themen dieser Kor­res­pon­denz waren die Lie­be und die Poe­sie in na­he­zu ob­ses­si­ver Aus­prä­gung. Pro­jek­tio­nen, un­er­füll­te Sehn­süch­te, die Fer­ne kann Lust und Qual zu ei­nem Ka­rus­sell wer­den las­sen, dem die Liebe dann nicht stand­hal­ten kann. Doch in die­sem Jahr, das im Zen­trum des Bu­ches steht, er­le­ben wir den poe­ti­schen Tau­mel drei­er Dich­ter, die sich im Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen dem Be­dürf­nis nach Nä­he und leib­haf­ti­ger Be­geg­nung und der Not­wen­dig­keit der Dis­tanz, um die poe­ti­sche Kor­res­pon­denz auf höchs­tem Ni­veau fort­set­zen zu kön­nen, auf­rei­ben. Denn nichts ist real jen­seits von Zeit und Raum. Auch nicht in der Poe­sie. Und in der Lie­be schon gar nicht.

"Boris! Wahr­schein­lich wirst Du im Sommer ir­gend­wo­hin fah­ren, also: alle Geräusche in der Nacht, im Freien wer­den ICH sein. Wenn ein Baum im Wind schwankt. Wenn ein Zug heult. Das wer­de ich sein, die Dich ruft – un­über­wind­bar." (S. 160)

Exkurs: "Doch mein Heu­te ist kom­plet­te Ver­we­sung."
Was für ein Satz! Ge­schrie­ben hat ihn Ser­gej Ja­kow­le­witsch Ef­ron, der Ehe­mann Ma­ri­na Zwe­ta­je­was, die nach dem ab­rup­ten En­de ei­ner lei­den­schaft­li­chen Lie­bes­be­zie­hung mit dem als "Schür­zen­jä­ger" be­kann­ten Kon­stan­tin Rod­se­witsch in ei­nen Ab­grund der Ver­zweif­lung ge­stürzt war. Ihr "End­ge­dicht" zeugt da­von. Für Ser­gej Ja­kow­le­witsch war das al­ler­dings keine ne­ue Er­fah­rung. Er be­schreibt Ma­ri­na als Su­chen­de, die ih­re hohen Er­war­tun­gen an Lei­den­schaft und Lie­be nie er­füllt sah und des­halb auf einer stän­di­gen Ach­ter­bahn der Emo­tio­nen un­ter­wegs war. Die damit ein­her­ge­hen­den Be­las­tun­gen der Ehe hat­ten ihn zu der oben zi­tier­ten Aus­sa­ge ver­an­lasst. Ob er sie in ei­nem Ta­ge­buch oder ei­nem Brief nie­der­schrieb, geht aus dem Buch lei­der nicht her­vor, zum Zitat (S. 88) gibt es keine Quel­len­an­ga­be. Beide Ehe­part­ner en­de­ten üb­ri­gens auf tra­gi­sche Wei­se: Ma­ri­na er­häng­te sich am 31. Au­gust 1941. Nur we­nig spä­ter, am 16. Oktober 1941, wurde Sergej Ja­kow­le­witsch Efron als ver­meint­li­cher fran­zö­si­scher Spion er­schos­sen.


24. Juli 2024

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