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Im Januar 1945 wird am Stadtrand von Haarlem ein Polizist erschossen. Ein stadtbekannter Kollaborateur, der auf seinem Fahrrad unterwegs ist. Der zwölfjährige Anton Steenwijk hört mit seinem 17 jährigen Bruder Peter und seinen Eltern die Schüsse und eilt ans Fenster. Sie beobachten ihre Nachbarn, die gerade dabei sind, die Leiche vor ihr, Steenwijks, Haus zu tragen und dort liegen zu lassen. Der aufgebrachte Bruder läuft zu der Leiche, um sie an den Ort der Tat zurück zu ziehen, doch schon hört man Sirenen von allen Seiten, er gerät in Panik, greift sich die Waffe des getöteten Polizeioberinspektors Fake Ploeg und rennt davon. Sekunden später treffen die Deutschen ein, Soldaten und Feldjäger, es fallen weitere Schüsse. Anton und seine Eltern werden abgeführt und getrennt, ihr Haus wird mit Handgranaten und einem Flammenwerfer in Brand gesetzt und zerstört. Anton wird zu einer jungen Frau in eine lichtlose Zelle gesperrt, sie tröstet ihn. Am nächsten Tag wird er zu Onkel und Tante gebracht, wo er die nächsten Jahre leben wird, seine Eltern sind mit anderen Gefangenen aus Rache für das Attentat erschossen worden. Anton studiert Medizin und wird Anästhesist, er wird zweimal heiraten und Vater zweier Kinder sein, sein Leben verläuft in geordneten Bahnen, die Vergangenheit ist abgehakt. Aber sie dringt in Abständen von einigen Jahren immer wieder in sein Leben ein. Durch Begegnungen mit Menschen, die in das damalige Geschehen involviert waren. Da ist der rechtsradikale Sohn des getöteten Polizisten, der sich selbst als Opfer der Ereignisse sieht. Bei einer Beerdigung trifft Anton auf den Attentäter selbst, der ihm die damalige Situation zu erklären versucht, mit dem er über die Konsequenzen spricht, die ein solcher Anschlag für Nichtbeteiligte haben konnte, Gedanken, die von den Widerstandskämpfern bei ihren Aktionen ebenfalls erwogen worden waren und unterschiedlich bewertet wurden. Er erfährt, dass die junge Frau, mit der Anton in der dunklen Zelle eingesperrt gewesen ist, die Freundin des Attentäters gewesen ist und ebenfalls auf den Polizisten geschossen hat. Sie wurde später hingerichtet. Schließlich begegnet er der Tochter, die mit ihrem Vater gemeinsam die Leiche des Polizisten vor das Haus der Steenwijks getragen hatte und bittet sie um eine Erklärung, warum sie dieses Haus ausgewählt hatten und nicht das auf der anderen Straßenseite liegende. Das Grundelement des Romans ist die Wahrnehmung, die immer eine Frage der Perspektive ist. Wer lädt Schuld auf sich, wie weit geht die Verantwortung für das eigene Handeln und wie geht man mit den Konsequenzen um, die sich daraus ergeben? Anton selbst laviert sich durch seine Existenz und wird doch immer wieder von der Vergangenheit erreicht. Leitmotivisch durchzieht Feuer in seinen verschiedenen Erscheinungsformen (Flamme, Glut, Asche) den Roman, die Textstruktur ist streng konstruiert und erinnert an eine griechische Tragödie. Spannend zu lesen, literarisch nicht sehr anspruchsvoll. Schullektüre fürchte ich. Harry Mulisch (1927 – 2010) war der Sohn einer Jüdin und eines Vaters, der beruflich für die "Arisierung" jüdischen Eigentums verantwortlich war. Dieser Konflikt bestimmt große Teile seines Werks. ---------------------------- 15. September 2023 |
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