3. Hymne an die Nacht
Einst da ich bittre Thränen vergoß, da in Schmerz aufgelöst
meine Hoffnung zerrann, und ich einsam stand am dürren Hügel,
der in engen, dunkeln Raum die Gestalt meines Lebens barg – einsam, wie
noch kein Einsamer war, von unsäglicher Angst getrieben – kraftlos,
nur ein Gedanken des Elends noch. – Wie ich da nach Hülfe umherschaute,
vorwärts nicht konnte und rückwärts nicht, und am fliehenden,
verlöschten Leben mit unendlicher Sehnsucht hing: – da kam aus blauen
Fernen – von den Höhen meiner alten Seligkeit ein Dämmerungsschauer
– und mit einemmale riß das Band der Geburt – des Lichtes Fessel.
Hin floh die irdische Herrlichkeit und meine Trauer mit ihr – zusammen
floß die Wehmuth in eine neue, unergründliche Welt – du Nachtbegeisterung,
Schlummer des Himmels kamst über mich – die Gegend hob sich sacht
empor; über der Gegend schwebte mein entbundner, neugeborner Geist.
Zur Staubwolke wurde der Hügel – durch die Wolke sah ich die verklärten
Züge der Geliebten. In ihren Augen ruhte die Ewigkeit – ich faßte
ihre Hände, und die Thränen wurden ein funkelndes, unzerreißliches
Band. Jahrtausende zogen abwärts in die Ferne, wie Ungewitter. An
Ihrem Halse weint ich dem neuen Leben entzückende Thränen. –
Es war der erste, einzige Traum – und erst seitdem fühl ich ewigen,
unwandelbaren Glauben an den Himmel der Nacht und sein Licht, die Geliebte.
Novalis
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