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Fernando Pessoa (1888 – 1935) war passionierter Astrologe. Er erstellte Horoskope für Personen, Institutionen, Unternehmungen und manches mehr. Auf diese Weise geriet er in Kontakt mit dem berüchtigten englischen Magier Aleister Crowley (1875 – 1947), den er auf einen Fehler in seinem Horoskop hinwies. Das führte zu einer Korrespondenz, die mit dem Treffen der beiden im Jahr 1930 in Portugal ihren Höhepunkt fand. Crowley war mit seiner aktuellen Geliebten, der 19-jährigen Hanni Jaeger (1911 – 1932?), unterwegs und sah in Pessoa einen Bruder im Geiste. Nach einem besonders heftigen Streit verließ Henni Jaeger den 54-jährigen Magier und reiste zurück nach Deutschland. Wenige Tage danach findet ein mit Pessoa befreundeter Journalist in der Nähe des "Höllenschlundes" (Boca do Inferno) eine kryptische Nachricht, die sich Aleister Crowley zuordnen lässt und als Abschiedsbrief interpretiert wird. Boca do Inferno ist eine Grotte, die durch den Einsturz eines Felsens entstanden ist, vom Meer umtost. Immer wieder haben sich dort Menschen das Leben genommen, meist werden ihre Leichen ins Meer getrieben und bleiben verschollen. Ist das auch das Schicksal des Aleister Crowley? Zeitungen berichten darüber, die Polizei nimmt Ermittlungen auf, befragt Zeugen. Pessoa selbst sagt aus, dass er mit ziemlicher Sicherheit Crowley noch einen oder zwei Tage nach seinem vermeintlichen Suizid gesehen habe, Ermittlungen ergeben, dass ein Mann mit seinem Pass die Grenze nach Spanien überschritten hat. War es Crowley oder jemand, der seinen Ausweis benutzte, die Kontrollen an der Grenze sollen eher oberflächlich gehandhabt werden. Und dann taucht noch ein Detektiv aus England auf, der sich daran macht, die Spuren zu verfolgen, um Licht in das Geschehen zu bringen. Steht der Mord an einem Taxifahrer in irgend einer Verbindung zu Crowleys Verschwinden? Die Sache wird immer undurchschaubarer. Steffen Dix, der Herausgeber der Werkausgabe Fernando Pessoas, veröffentlicht erstmals die Originaldokumente, die Licht ins Dunkel um das Verschwinden des Aleister Crowley bringen können: In chronologischer Reihenfolge die erhalten gebliebene Korrespondenz zwischen Pessoa, Crowley und Vertretern des englischen Verlags, in dem damals Crowleys Schriften erschienen sind. Zeitungsartikel, Briefwechsel mit Karl Germer (einem Vertrauten Crowleys in Berlin) und Henni Jaeger, Interviews, Gedichte und am Ende den Bericht des Detektivs, in dem er die Ergebnisse seiner Ermittlungen niedergelegt hat. Kommentiert und erläutert von Steffen Dix, der manche Hintergründe und Verbindungen erläutert. Zutage tritt ein Jux und Verwirrspiel, an dem – zumindest anfangs – Pessoa und Crowley ihre Freude gehabt haben. Die Presse berichtet, Freunde und Anhänger Crowleys befürchten das Schlimmste, während dieser sich in Berlin wieder mit Henni Jaeger versöhnt hat und sie ihren sexualmagischen Exzessen nachgehen. Pessoa hingegen bereitet einen Text zur Veröffentlichung vor, in dem der englische Detektiv (der niemand anderes ist als Pessoa selbst) seine Version des Geschehens darlegt. Es wird nie dazu kommen, erst mit der hier besprochenen Ausgabe werden die verschiedenen Versuche Pessoas, das Thema in den literarischen Griff zu bekommen, der interessierten Öffentlichkeit vorgelegt. Crowley und Pessoa entfremden sich mit der Zeit, Henni Jaeger wird – wie so viele Frauen, die in den Bann des Magiers geraten waren – sich nicht sehr viel später das Leben nehmen. Eine ungewöhnliche und (mich) faszinierende Lektüre. ---------------------------- 5. September 2023 |
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