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Salvatore Satta Die Familie Sanna Carboni lebt seit Generationen in Nuoro, Don Sebastiano ist Notar, sein Leben und das seiner Familie ist wie ein roter Faden, der sich durch die 303 Seiten des Romans zieht. Doch die Familiengeschichte ist durchflochten mit der Chronik des Ortes und dem Schicksal der Menschen, die dort leben. Es ist die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis in die 20er Jahre des folgenden, eine Zeit, in der sich Umbrüche anbahnen, die eine über Jahrhunderte kaum veränderte Statik ins Wanken bringen. Neben seiner Advokatur besitzt Don Sebastiano Felder und einen Weinberg und gehört damit zu den Wohlhabenden im Ort. Donna Vincenza, seine Frau, gebärt ihm sieben Söhne. Es gibt Konflikte auf der Insel zwischen Hirten und Bauern, zwischen Einheimischen und Zugewanderten, zwischen den einzelnen Stadtteilen und den Orten in der näheren Umgebung. Das war schon immer so. Italien ist weit, seit Jahrzehnten wird der selbe Abgeordnete gewählt, die Honoratioren der Stadt versammeln sich im Café Tettamanzi, um dort Karten zu spielen und ihre Geschäfte zu regeln. Es ist eine heidnisch geprägte Kultur, "wie übrigens auch Kanoniker und Priester halbe Heiden waren, ..." (S. 127), deren Gefüge mit dem wachsenden Einfluss des Festlands brüchig wird. Don Ricciotti, einer der Lehrer des Ortes, organisiert eine Bewegung der Armen, der sich schließlich auch Menschen aus anderen Schichten anschließen, um bei den nächsten Wahlen ein Mandat zu erringen. Doch er scheitert, noch sind die traditionellen Bindungen stark genug. Aber es gärt. Der Tod des armen und verrückten Fileddu bewegt die Massen, seine Beisetzung wird zu einer Demonstration gegen die örtlichen Hierarchien und zu einem der Höhepunkte des Romans. Der Erste Weltkrieg beschleunigt den Wandel, die Söhne Don Sebastianos sind auf unterschiedliche Weise davon betroffen und markieren die zunehmende Disparität, der Nuoro und ganz Sardinien unterworfen ist. Die Zeichen mehren sich, dass die Menschen Rechenschaft werden ablegen müssen. Eine Naturkatastrophe überzieht die Insel und zerstört weite Teile der landwirtschaftlichen Infrastruktur. Magische Rituale sollen schützen und versagen, die sardische Welt scheint in apokalyptisches Chaos zu stürzen. Doch die Verhältnisse ordnen sich neu. Ein faszinierender Text, bei dessen Lektüre man immer mal wieder auf die Knie sinken möchte, um ihn angemessen zu würdigen. Der Autor braucht einen Vergleich mit Tomasi di Lampedusa und Andrea Giovene nicht zu scheuen. Salvatore Satta (1902 – 1975) verbrachte Kindheit und Jugend in Nuoro, sein literarisches Werk ist überschaubar. Er gilt als bedeutender Jurist, "Der Tag des Gerichts" erschien vier Jahre nach seinem Tod, angeblich um die darin dargestellten Personen zu schonen. ---------------------------- 3. Januar 2024 |
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