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Salvatore Satta Der Tag des Gerichts Salvatore Satta
Der Tag des Gerichts.
Deutsch von Joachim A. Frank.
Insel Ver­lag 1980, 303 Sei­ten
ISBN 3-458-04840-5

Die Familie Sanna Car­bo­ni lebt seit Ge­ne­ra­tio­nen in Nuoro, Don Se­bas­tia­no ist Notar, sein Le­ben und das seiner Familie ist wie ein roter Faden, der sich durch die 303 Seiten des Ro­mans zieht. Doch die Fa­mi­lien­ge­schich­te ist durchflochten mit der Chronik des Ortes und dem Schicksal der Men­schen, die dort leben. Es ist die Zeit des ausgehenden 19. Jahr­hun­derts bis in die 20er Jahre des folgenden, eine Zeit, in der sich Umbrüche anbahnen, die eine über Jahr­hun­der­te kaum ver­än­der­te Statik ins Wanken brin­gen.

Neben seiner Advokatur be­sitzt Don Sebastiano Felder und einen Wein­berg und ge­hört damit zu den Wohl­ha­ben­den im Ort. Donna Vin­cen­za, seine Frau, gebärt ihm sieben Söhne. Es gibt Konflikte auf der Insel zwischen Hirten und Bauern, zwischen Ein­hei­mi­schen und Zu­ge­wan­der­ten, zwischen den einzelnen Stadt­tei­len und den Orten in der näheren Um­ge­bung. Das war schon immer so. Italien ist weit, seit Jahr­zehn­ten wird der sel­be Ab­ge­ord­ne­te ge­wählt, die Ho­no­ra­tio­ren der Stadt versammeln sich im Café Tet­ta­man­zi, um dort Karten zu spielen und ihre Ge­schäf­te zu regeln.

Es ist eine heidnisch geprägte Kultur, "wie übrigens auch Ka­no­ni­ker und Priester halbe Hei­den waren, ..." (S. 127), deren Gefüge mit dem wach­sen­den Ein­fluss des Fest­lands brü­chig wird. Don Ricciotti, einer der Leh­rer des Ortes, or­ga­ni­siert ei­ne Be­we­gung der Armen, der sich schließlich auch Men­schen aus anderen Schichten an­schlie­ßen, um bei den nächs­ten Wahlen ein Mandat zu erringen. Doch er scheitert, noch sind die traditionellen Bindungen stark genug. Aber es gärt. Der Tod des armen und ver­rück­ten Fileddu bewegt die Massen, seine Bei­set­zung wird zu einer Demonstration gegen die örtlichen Hierarchien und zu einem der Hö­he­punk­te des Ro­mans.

Der Erste Weltkrieg be­schleu­nigt den Wan­del, die Söhne Don Se­bas­tia­nos sind auf un­ter­schied­li­che Weise da­von be­trof­fen und mar­kie­ren die zu­neh­men­de Disparität, der Nuoro und ganz Sardinien un­ter­wor­fen ist. Die Zei­chen meh­ren sich, dass die Menschen Re­chen­schaft wer­den ablegen müssen. Eine Na­tur­ka­tas­tro­phe überzieht die Insel und zerstört weite Teile der land­wirt­schaft­li­chen Infrastruktur. Ma­gi­sche Ri­tua­le sollen schüt­zen und ver­sa­gen, die sar­di­sche Welt scheint in apo­ka­lyp­ti­sches Chaos zu stür­zen.

Doch die Verhältnisse ordnen sich neu.

Ein faszinierender Text, bei des­sen Lektüre man immer mal wieder auf die Knie sinken möchte, um ihn angemessen zu würdigen. Der Autor braucht einen Ver­gleich mit Tomasi di Lam­pe­du­sa und Andrea Gio­ve­ne nicht zu scheuen.

Salvatore Satta (1902 – 1975) verbrachte Kind­heit und Ju­gend in Nuoro, sein li­te­ra­ri­sches Werk ist überschaubar. Er gilt als bedeutender Jurist, "Der Tag des Gerichts" er­schien vier Jahre nach seinem Tod, angeblich um die darin dar­ge­stell­ten Per­so­nen zu scho­nen.

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3. Januar 2024

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