Kassiber | |||||
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Warlam Schalamow Warlam Schalamow (1907 – 1982) wurde im Februar 1929 wegen antistalinistischer Propaganda verhaftet und verbrachte die nächsten drei Jahre in Arbeits- und Straflagern. Nach seiner Freilassung arbeitete er zunächst in einem Chemiekombinat, ab 1934 als Journalist. Erste literarische Veröffentlichungen, dann erneute Verhaftung im Januar 1937 wegen "konterrevolutionärer trotzkistischer" Aktivitäten. Ohne Gerichtsverhandlung wird er zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt und nach Sibirien in die Gegend von Kolyma [1] deportiert. Nach Ablauf der Haftzeit bleibt er weiter in diversen Lagern gefangen, erst 1953 kommt er frei. Er schreibt Gedichte und "Erzählungen aus Kolyma", die in Deutschland und Frankreich erscheinen. In der Sowjetunion wird er zwar 1956 rehabilitiert, dennoch werden nur wenige seiner Gedichte in Literaturzeitschriften veröffentlicht. "Über Prosa" versammelt vier Essays, sechs Briefe (unter anderem an Pasternak, Solschenizyn, Nadeshda Mandelstam) und kurze Notizen, in denen Schalamow seine Position zur Literatur entwickelt. Der Roman ist tot, Memoiren uninteressant, allein das authentische Erzählen, bereinigt von jedem überflüssigen Ballast, hat eine Berechtigung, das Ziel ist dokumentarische Prosa. Seine "Erzählungen aus Kolyma" sind keine autobiographischen Texte, es sind Beschreibungen, in denen er exemplarisch das Leben im Lager schildert und das, was es aus den Menschen macht. Er distanziert sich von der "humanistischen" Literatur des 19. Jahrhunderts (namentlich von Tolstoi) und fordert eine neue, literaturbereinigte Prosa. Inspiriert von der Malerei eines Gaugin. "Zeitgenössische Prosa kann nur in der persönlichen Erfahrung gewonnen werden, wenn alles Literarische, das die Hauptsache stört, ausgeschieden ist, wenn jedes abstrakte Urteil, die Metapher, der Stil und das moralische Postulat der strengsten persönlichen Überprüfung unterzogen sind." (S. 105) Das Nachwort von Jörg Drews reflektiert die Bedingungen, das Unsagbare, das nicht Vorstellbare in Worte zu fassen. Ist eine Literatur nach Auschwitz und dem Gulag noch sinnvoll, noch möglich? Schalamow setzt dem seine lakonische Ethik entgegen, die die Wahrheit, die Wahrhaftigkeit, die Authentizität über alles stellt. Die Herausgeberin hat einen Anmerkungsteil angefügt, in dem sie Personen und Begriffe erläutert, die den westlichen Lesern möglicherweise unbekannt sind. ---------------------------- 1. Kolyma ist ein Fluss in Ostsibirien, die Temperaturen fallen auf bis zu 60° minus, weswegen die dortigen Lager nicht eingezäunt sind, eine Flucht wäre sinnlos und unmöglich. Bis 1987 gab es dort ein System von Straf- und Arbeitslagern, in denen Hunderttausende nach Bodenschätzen graben mussten. Die Sterberate war enorm. ---------------------------- 10. Februar 2021 → Sprache |
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