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Karl Wittgenstein, ein eigenwilliger und sehr erfolgreicher Selfmademan, häufte eines der größten Vermögen im damaligen Österreich an. Seine Frau und er waren den Künsten zugetan, man musizierte im Haus Wittgenstein auf hohem Niveau. Auch mit den Kindern, 9 an der Zahl, von denen eine Tochter allerdings bei der Geburt starb. Karl war ein strenger Vater, der sehr genaue Vorstellungen von der Zukunft seiner Kinder hatte. Deren Interessen und Begabungen spielten dabei keine Rolle, 3 seiner Söhne endeten durch Suizid. Paul, der älteste Sohn, strebte eine Karriere als Konzertpianist an, als der Erste Weltkrieg ihn und seinen Bruder Ludwig, den späteren Philosophen, zu Soldaten machte. Nach einer schweren Verwundung musste ihm der rechte Arm amputiert werden, außerdem geriet er in russische Kriegsgefangenschaft. Nach anfänglichen Depressionen entschied sich Paul für eine Fortsetzung seiner musikalischen Karriere. Nach der Entlassung aus Gefangenschaft und Militär erteilte er namhaften Komponisten Aufträge für Werke "für die linke Hand". Er selbst arrangierte Stücke von Bach, Beethoven, Chopin und vielen anderen um, und trat damit erfolgreich auf. Tourneen rund um den Globus schlossen sich an, seine Familie betrachtete seine Erfolge mit gemischten Gefühlen. Kommen die Menschen in seine Konzerte, um ihn als Freak zu sehen oder seiner ausdrucksstarken Kunst wegen? Privat schien Paul beziehungsunfähig, bis er schließlich eine seiner Schülerinnen, nach Jahren der heimlichen Verbundenheit, heiratete. Nach dem "Anschluss" Österreichs an das Dritte Reich wurden die Wittgenstein zu Juden erklärt, Paul verlor seine Anstellung als Lehrer am Neuen Wiener Konservatorium, die Familie war uneins wie sie mit der Situation umgehen sollte. Paul emigrierte 1938 in die USA, seine Schwestern erhielten nach Zahlung von 1,8 Millionen Schweizer Franken den Status von "Mischlingen", Ludwig lebte seit längerem in England. 1961 starb Paul Wittgenstein als amerikanischer Staatsbürger und erfolgreicher Pianist an Herzversagen. Lea Singer [1] nimmt Pauls Leben als Exempel, um die Umstände der Zeit im damaligen Österreich, die Gräuel des Ersten Weltkriegs und die Situation innerhalb der Familie Wittgenstein auf nachvollziehbare Weise darzustellen. Die Rivalität zwischen Paul und Ludwig, dem Liebling der Schwestern, dem man alles nachsieht, den man als Genie verehrt, die Geringschätzung der Leistung Pauls, die Stringenz, mit der er seine Ziele verfolgt, die Auseinandersetzung mit den Komponisten, die – nach Pauls Ansicht – ihre Werke nicht in angemessener Weise seinen Fähigkeiten entsprechend einrichten usw. Ein biografisches und kulturhistorisches Kaleidoskop. Keine hohe Literatur, dennoch lesenswert. ---------------------------- 1. Lea Singer (* 1960, Pseudonym von Eva Gesine Baur) studierte Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft und Gesang. Verfasserin von Biografien und Sachbüchern, das Pseudonym ist Romanen vorbehalten. ---------------------------- 2. Februar 2023 |
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