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Der Titel hört sich reißerischer an als es der Inhalt ist. Denn es handelt sich hier um eine kulturgeschichtliche Betrachtung über den Verzehr von Menschenfleisch, insbesondere des Herzens. Die Thematik reicht zurück bis in die antike Mythologie und schlägt sich nieder in Märchen und Legenden. Gerne werden missliebige Minderheiten des Kannibalismus bezichtigt, unter anderen die Christen, die dann später selbst den Vorwurf gegen Häretiker, Juden und Hexen verbreiteten. Ein Sonderfall ist der Hungerkannibalismus, der über die Jahrhunderte bis in die Gegenwart belegt ist, in den meisten Fällen aber vertuscht wird. Seitdem europäische Mächte sich daran machten, die Welt zu "entdecken", verbreiteten sich die schaurigsten Beschreibungen von kannibalistischen Orgien bei den "primitiven", aber vor allem heidnischen Völkern, denen das Heil des Herrn die Erlösung bringen sollte. "Inzwischen vertreten Ethnologen und Archäologen die Ansicht, dass die Berichte über rituelle Menschenfresserei, sowohl historische als auch gegenwärtige, reine Fantasie seien, realen rituellen Kannibalismus habe es weder in Europa noch sonstwo auf der Erde je gegeben." S. 27 Vermeintliche Hexen und Juden wurden jedoch immer wieder Ziel solcher Narrative, sie opferten Menschen, bevorzugt Kinder, für ihre magischen und Schaden verbreitenden Machenschaften und wurden dafür verbrannt oder fielen tödlichen Pogromen zum Opfer. Der Volksglaube kannte die Vorstellung, dass nach dem Verzehr eines menschlichen Herzens der Täter unsichtbar werden würde und so unbemerkt Diebstähle oder andere Delikte begehen könnte. Tuczay berichtet von einer Reihe von Fällen, die den Verzehr von Menschenfleisch beschreiben, die sich über mehrere Jahrhunderte in der Region der Donaumonarchie zugetragen haben sollen. Die Taten hatten selten einen wirklich dämonischen Hintergrund, meist handelte es sich um abergläubische, aus der Welt gefallene Menschen, die den Volksglauben der Zeit verinnerlicht hatten. Wobei natürlich immer Zweifel angezeigt sind, ob sich die Taten überhaupt in der geschilderten Weise zugetragen haben, die meisten Geständnisse waren unter der Folter entstanden und/oder wurden aus propagandistischen Zwecken aufgebauscht. Vereinzelt werden Fälle aus anderen Teilen Europas beschrieben, mehr oder weniger ausführlich werden historische Persönlichkeiten wie Gilles de Rais, Elisabeth Bathory, Fritz Haarmann und andere behandelt. Es gibt Exkursionen zu Werwölfen und dem Vampirismus sowie einigen Niederschlägen in der Literatur (E.T.A. Hoffmann, Bret Easton Ellis, "Das Schweigen der Lämmer"). Vorangestellt ist dem Buch ein launiges Vorwort des bekannten Forensikers Mark Benecke, den Abschluss bildet ein mehrseitiger Anmerkungsapparat. Christa Agnes Tuczay ist eine österreichische Altgermanistin und Kulturwissenschaftlerin. Sie studierte unter anderem Germanistik, Ethnologie, Philosophie und Psychologie an der Universität Wien und promovierte über das Thema "Der Unhold ohne Seele". Seither forscht sie über Märchen und Legenden, Mittelalter und Magie. Seit 1984 ist Tuczay als Dozentin für ältere deutsche Sprache und Literatur an der Universität Wien tätig. Sie habilitierte sich 1997 mit einer Arbeit über "Märchen und Magie im Mittelalter". Tuczay ist Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. ---------------------------- 7. November 2023 |
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