Kassiber | |||||
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Richard Wagner Der Balkan hat sich gewandelt, das Bild, das in Westeuropa von ihm herrscht, ist dagegen weitgehend unverändert: Chaos und Korruption, Armut und Kriminalität dominieren die Darstellung in den Medien. Wagner definiert den Balkan als den geographischen Raum, der im Süden von der Ägäis, im Osten vom Bosporus und vom Schwarzen Meer, im Westen von der Adria begrenzt ist. Die Nordgrenze bilden die Flüsse Save und Donau. Aber das ist ebenso umstritten, wie die Aufzählung der Länder, die dem Balkan zugerechnet werden können. Zumal sich durch die Jahrhunderte nicht nur politische und kulturelle Grenzen verschoben haben, es haben auch historische Umwälzungen stattgefunden, die ethnische, religiöse und sprachliche Konsequenzen hatten mit einem Konfliktpotential, das bis in die Gegenwart reicht. Wagner ordnet dennoch das ehemalige Jugoslawien, Albanien, Bulgarien, Griechenland und Teile Rumäniens dem Balkan zu. Kroatien, Slowenien, Walachei und Moldau waren häufigen Wechseln ihrer Bezugspunkte unterworfen, sodass eine Positionierung schwer fällt. Wie groß war der Einfluss Europas, insbesondere während der Zeit der Habsburger Herrschaft einerseits und des Osmanischen Reichs andererseits, mit welchem Selbstverständnis und Zugehörigkeitsgefühl haben die Menschen im betroffenen Raum gelebt? Wagner beschreibt detailliert die Geschichte und ihre wechselnden Herrschaftsformen sowie die Gegenwart der Balkanländer und bezieht dabei auch persönliche Eindrücke mit ein. Er stellt die Frage nach Ursprung und Entwicklung der Volksgruppen und betont die Bedeutung der geographischen Bedingungen der Region in Bezug auf ihre ökonomischen Möglichkeiten. Wagner diskutiert auch die Bedeutung von Mythen im Selbstverständnis der Völker und den Einfluss der Großmächte auf den Balkan, sowie die gegenwärtigen (Stand 2003, als das Buch erschienen ist) Bestrebungen, sich dem europäischen Raum zuzuwenden oder nationalistische Projekte zu entwickeln. So unmittelbar nach dem Zerfall Jugoslawiens und der Auflösung des Ostblocks ein gewagtes Unterfangen... Großen Raum nehmen die nationalen Unterschiede in der Interpretation der kommunistischen Ideologie ein, sowie die Rivalität der Religionen, deren Einflussgebiete im Lauf der letzten Jahrhunderte mehrfach gewechselt haben. Juden und Roma erhalten eigene Kapitel. Eine mehrseitige Zeittafel, sowie eine umfangreiche Literaturliste und 6 Karten beschließen den Band. Bei aller Differenziertheit in der Darstellung taucht meiner Wahrnehmung nach doch immer wieder so etwas wie eine vermeintliche "Balkanmentalität" bei Wagner auf, die eine wirkliche Integration in das vereinte Europa erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht. ---------------------------- 7. Februar 2024 → Richard Wagner: Herr Parkinson → Reisen |
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