Kassiber leer
Autoren Glossen Lyrik

Der leere Himmel Richard Wagner
Der leere Himmel.
Reise in das Innere des Bal­kan.
Aufbau Ver­lag 2003, 334 Sei­ten
ISBN 3-351-02548-3

Der Balkan hat sich ge­wan­delt, das Bild, das in West­eu­ro­pa von ihm herrscht, ist da­ge­gen weit­ge­hend un­ver­än­dert: Cha­os und Kor­rup­tion, Ar­mut und Kri­mi­na­li­tät do­mi­nie­ren die Dar­stel­lung in den Me­dien.

Wagner definiert den Bal­kan als den geo­gra­phi­schen Raum, der im Sü­den von der Ägäis, im Os­ten vom Bos­po­rus und vom Schwar­zen Meer, im Wes­ten von der Adria begrenzt ist. Die Nord­gren­ze bil­den die Flüsse Save und Do­nau. Aber das ist eben­so umstritten, wie die Auf­zäh­lung der Län­der, die dem Bal­kan zu­ge­rech­net wer­den kön­nen. Zu­mal sich durch die Jahr­hun­der­te nicht nur po­li­ti­sche und kul­tu­rel­le Grenzen ver­scho­ben haben, es ha­ben auch historische Um­wäl­zun­gen statt­ge­fun­den, die eth­ni­sche, re­li­giö­se und sprach­li­che Kon­se­quen­zen hatten mit ei­nem Kon­flikt­po­ten­tial, das bis in die Ge­gen­wart reicht.

Wagner ordnet dennoch das ehe­ma­li­ge Ju­go­sla­wien, Al­ba­nien, Bul­ga­rien, Grie­chen­land und Tei­le Ru­mä­niens dem Bal­kan zu. Kroatien, Slo­we­nien, Wa­la­chei und Moldau wa­ren häu­fi­gen Wechseln ih­rer Be­zugs­punk­te un­ter­wor­fen, so­dass ei­ne Po­si­tio­nie­rung schwer fällt. Wie groß war der Ein­fluss Eu­ro­pas, ins­be­son­de­re während der Zeit der Habs­bur­ger Herr­schaft ei­ner­seits und des Os­ma­ni­schen Reichs an­de­rer­seits, mit wel­chem Selbst­ver­ständ­nis und Zu­ge­hö­rig­keits­ge­fühl ha­ben die Men­schen im be­trof­fe­nen Raum gelebt?

Wagner beschreibt de­tail­liert die Geschichte und ih­re wech­seln­den Herr­schafts­for­men so­wie die Ge­gen­wart der Bal­kan­län­der und be­zieht da­bei auch per­sön­li­che Ein­drü­cke mit ein. Er stellt die Fra­ge nach Ur­sprung und Ent­wick­lung der Volks­grup­pen und be­tont die Be­deu­tung der geo­gra­phi­schen Be­din­gun­gen der Re­gion in Bezug auf ih­re öko­no­mi­schen Mög­lich­kei­ten. Wag­ner dis­ku­tiert auch die Be­deu­tung von Mythen im Selbst­ver­ständ­nis der Völ­ker und den Einfluss der Groß­mäch­te auf den Balkan, so­wie die ge­gen­wär­ti­gen (Stand 2003, als das Buch er­schie­nen ist) Be­stre­bun­gen, sich dem eu­ro­päi­schen Raum zu­zu­wen­den oder na­tio­na­lis­ti­sche Pro­jek­te zu ent­wi­ckeln. So un­mit­tel­bar nach dem Zer­fall Ju­gos­la­wiens und der Auf­lö­sung des Ostblocks ein ge­wag­tes Un­ter­fan­gen...

Großen Raum nehmen die na­tio­na­len Un­ter­schie­de in der In­ter­pre­ta­tion der kom­mu­nis­ti­schen Ideo­lo­gie ein, so­wie die Ri­va­li­tät der Re­li­gio­nen, deren Ein­fluss­ge­bie­te im Lauf der letz­ten Jahrhunderte mehr­fach gewechselt haben. Ju­den und Ro­ma er­hal­ten ei­ge­ne Kapitel. Eine mehr­sei­ti­ge Zeittafel, so­wie ei­ne um­fang­rei­che Li­te­ra­tur­lis­te und 6 Kar­ten be­schlie­ßen den Band.

Bei aller Dif­fe­ren­ziert­heit in der Darstellung taucht mei­ner Wahr­neh­mung nach doch im­mer wie­der so et­was wie eine ver­meint­li­che "Bal­kan­men­ta­li­tät" bei Wag­ner auf, die eine wirk­li­che In­te­gra­tion in das ver­ein­te Europa er­schwert, wenn nicht so­gar un­mög­lich macht.

----------------------------

7. Februar 2024

Richard Wagner: Herr Par­kin­son

Reisen

Gelesen : Weiteres : Impressum