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Volker Weidermann Das Buch der verbrannten Bücher Volker Weidermann
Das Buch der ver­brann­ten Bücher.
Kiepenheuer & Witsch 2008, 253 Sei­ten, ISBN 978-3-462-03962-7

Auf der ersten schwar­zen Lis­te der "Schö­nen Li­te­ra­tur", die maß­ge­bend für die Bü­cher­ver­bren­nun­gen am 10. Mai 1933 war, be­fan­den sich 94 deutsch­spra­chi­ge Au­to­ren resp. Au­to­rin­nen und 37 fremd­spra­chi­ge. Von einigen stan­den nur ein­zel­ne Wer­ke auf der Liste, bei den meisten war es das Ge­samt­werk, das ver­nich­tet wer­den soll­te. Vol­ker Wei­der­mann hat ver­sucht, die Spu­ren all die­ser Au­to­ren und Au­to­rin­nen zu ver­fol­gen, mit un­ter­schied­li­chem Erfolg.

Der Urheber dieser und spä­te­rer Listen war Wolf­gang Herr­mann (1904-1945), ein Bi­blio­the­kar, der schon An­fang 1932 der NSDAP bei­ge­tre­ten war und seit sei­ner Ju­gend völ­ki­sches Ge­dan­ken­gut ver­trat. Schon vor der Macht­er­grei­fung hat­te Herr­mann da­mit be­gon­nen, Ver­zeich­nis­se zu er­stel­len, auf de­nen Wer­ke und Au­to­ren ge­lis­tet wur­den, die aus öf­fent­li­chen Bi­blio­the­ken zu ent­fer­nen sei­en. Die "Aktion wider den un­deut­schen Geist", den die 'Deut­sche Stu­den­ten­schaft' schon bald nach der Macht­er­grei­fung ins Le­ben rief, be­zog sich auf die­se Lis­ten als Grund­la­ge für die Durch­su­chung öf­fent­li­cher Bi­blio­the­ken, aus de­nen "un­er­wünsch­tes und schäd­li­ches Schrift­tum" ent­fernt werden soll­te, um am 10. Mai 1933 öf­fent­lich ver­brannt zu wer­den.

"Das Buch der ver­brann­ten Bü­cher" führt alle be­trof­fe­nen Au­tor*­in­nen und ihre Wer­ke an und kom­men­tiert sie mit mehr oder we­ni­ger um­fang­rei­chen Tex­ten. Wei­der­manns Ziel ist es, die weniger be­kann­ten bzw. ganz ver­ges­se­nen Auto­r*­in­nen aus­führ­li­cher vor­zu­stel­len als die, de­ren Bio­gra­fien und Bü­cher weit­ge­hend ge­läu­fig sind. Das ge­lingt nicht immer, ge­reicht dem Buch aber nicht zum Nach­teil. So ist zum Bei­spiel das letz­te Kapitel, das sich mit der Freund­schaft zwi­schen Ste­fan Zweig und Jo­seph Roth be­fasst, ei­nes der in­te­res­san­tes­ten, da es die Ver­wer­fun­gen und Pro­ble­me des Exils an­schau­lich dar­stellt.

Erstaunlich ist die Wahl­lo­sig­keit, mit der die­se ers­te Liste zu­sam­men­ge­stellt zu sein scheint. Jü­di­sche und lin­ke Au­tor*­in­nen stehen ne­ben Au­to­ren wie Max Bar­thel und Hanns Heinz Ewers, die sich dem neu­en Regime glaub­haft an­ge­dient hat­ten. Ne­ben Au­to­ren wie Lion Feucht­wan­ger, die aus der Fer­ne – im Exil – ent­setzt den Vor­gän­gen in ih­rer Hei­mat folg­ten, ste­hen Au­to­ren wie Gün­ther Bir­ken­feld, der mit be­lang­lo­sen Tex­ten Kar­rie­re im tau­send­jäh­ri­gen Reich mach­te. Ne­ben Ernst Tol­ler, der sich 1939 in New York das Le­ben nahm, steht ein Ka­si­mir Ed­schmid, der durch seine Rei­se­ro­ma­ne ein kom­for­tab­les Aus­kom­men im Reich ha­ben soll­te.

Viele der von Wei­der­mann be­schrie­be­nen Au­to­ren sind der Ver­ges­sen­heit an­heim ge­fal­len, sie hat­ten den An­schluss ver­lo­ren nach­dem der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ter­ror ein En­de ge­fun­den hat­te. Oder sie wa­ren tot. Nur we­ni­gen ge­lang es, ih­re li­te­ra­ri­sche Be­deu­tung und ihre Krea­ti­vi­tät über die Jah­re des Exils zu ret­ten, um im deut­schen Sprach­raum wie­der ih­re Le­ser­schaft zu fin­den. Der na­tio­na­lis­ti­sche und ras­sis­ti­sche Wahn hat nicht nur ca. 60 Mil­lio­nen Tote zu ver­ant­wor­ten, son­dern auch die Zer­stö­rung we­sent­li­cher Tei­le deut­scher und eu­ro­pä­ischer Kul­tur, von der die jü­di­sche im­mer ein wich­ti­ger Teil ge­we­sen ist. Die Fol­gen rei­chen bis in die Ge­gen­wart.

Volker Weidermann lässt den Text enden mit den letz­ten Sät­zen, die Ste­fan Zweig in sei­nem Ab­schieds­brief 1942 schrieb, be­vor er und sei­ne Frau Lot­te sich mit einer Über­do­sis Ve­ro­nal das Le­ben nah­men: "Ich grüße alle mei­ne Freun­de! Mö­gen sie die Mor­gen­rö­te noch se­hen nach der lan­gen Nacht! Ich, allzu Un­ge­dul­di­ger, gehe ih­nen vo­raus." S. 240

Möge niemand sich ei­nes Ta­ges veranlasst se­hen, ähn­li­che Zei­len zu hin­ter­las­sen. Die Lis­ten derer, die bren­nen sol­len, sind schon ge­schrie­ben! #NieWiederIstJetzt


Volker Weider­mann: Träu­mer. Als die Dich­ter die Macht über­nah­men

9. August 2024

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