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Miriam Weinstein Jiddish Miriam Weinstein
Jiddish. Eine Sprache reist um die Welt.
Aus dem Ame­ri­ka­ni­schen von Mir­jam Press­ler.
Kindler Verlag 2003, 351 Sei­ten, ISBN 3-463-40378-1

Die jiddische Sprache ist zahl­rei­chen Ein­flüs­sen un­ter­wor­fen, und den­noch gibt es ei­ni­ge Kon­stan­ten, die über die Jahr­hun­der­te er­hal­ten ge­blie­ben sind. So ent­stam­men et­wa drei Vier­tel des jid­di­schen Vo­ka­bu­lars dem Deut­schen, einem Deutsch al­ler­dings, das sei­ne mit­tel­al­ter­li­chen Prä­gun­gen nicht leug­nen kann, die Ur­sprün­ge des Jid­di­schen rei­chen zu­rück bis ins 10. Jahr­hun­dert un­se­rer Zeit­rech­nung. Mi­ri­am Wein­stein ver­folgt den Auf­stieg und den Nie­der­gang (?) die­ser Spra­che mit his­to­ri­scher Ge­nau­ig­keit, je­doch im Stil ei­ner er­zäh­len­den Ge­schich­te, die den Zu­gang zu dem kom­ple­xen The­ma we­sent­lich er­leich­tert.

Ursprünglich für den Haus­ge­brauch und für Frau­en vor­ge­se­hen, haf­te­te dem Jid­di­schen der Ma­kel ei­nes Kau­der­welschs an, der im star­ken Kon­trast zu den Stu­dien der hei­li­gen Schrif­ten des Ju­den­tums stand, die in He­brä­isch statt­fan­den. In­tel­lek­tu­el­le Ju­den der Auf­klä­rungs­zeit emp­fah­len den Ge­brauch der je­wei­li­gen Lan­des­spra­che, wäh­rend sich, vor al­lem im öst­li­chen Eu­ro­pa, das Jid­di­sche zu­erst zur Volks­spra­che und schließ­lich wei­ter zu ei­ner Kul­tur­spra­che ent­wi­ckel­te, die ei­ne um­fang­rei­che und viel­sei­ti­ge Literatur her­vor­brach­te. Zu nen­nen sind hier Au­to­ren wie Men­de­le Moj­cher Sfo­rim, J.L. Perez und Scho­lem Alej­chem.

Im 20. Jahrhundert spra­chen mehr als 10 Mil­lio­nen eu­ro­pä­ische Ju­den Jiddisch, bevor die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ras­sen­fa­na­ti­ker und ihre Hand­lan­ger den Großteil von ih­nen auf grau­sams­te Weise um­brach­ten.

Doch schon vor der Shoah wa­ren Juden aus Eu­ro­pa in die bei­den Ame­ri­kas und nach Pa­läs­ti­na ge­flo­hen und bil­de­ten dort jid­disch­spra­chi­ge Ge­mein­den. So­wohl in den USA als auch im 1948 ge­grün­de­ten Staat Is­ra­el erfuhr das Jid­di­sche aber ein ähn­li­ches Schick­sal wie ei­ni­ge hun­dert Jah­re zu­vor: es wurde als Re­likt ei­nes rückständigen Ju­den­tums an­ge­se­hen und soll­te durch Eng­lisch bzw. He­brä­isch er­setzt wer­den. Ähn­li­ches ge­schah in der Sow­jet­uni­on, wo Jid­disch in ei­ni­gen Ge­bie­ten als of­fi­ziel­le Spra­che an­er­kannt wor­den war, mit dem zu­neh­mend an­ti­jü­di­schen Kurs, den Sta­lin un­ter dem Deck­man­tel des Kos­mo­po­li­ten­tums ab dem Ende der 40er Jah­re ein­schlug, je­doch zu star­ken Ein­schrän­kun­gen der Aus­übung führ­te.

Miriam Weinstein kon­sta­tiert, dass in der Ge­gen­wart Jid­disch fast nur noch in ul­tra­or­tho­do­xen jü­di­schen Ge­mein­den ge­spro­chen wird, die Kin­der und En­kel der emi­grier­ten jid­disch­spra­chi­gen Ju­den in­zwi­schen aus­schließ­lich Eng­lisch bzw. He­brä­isch spre­chen.

Die Autorin verknüpft ih­re Aus­füh­run­gen über die Ent­wick­lung der jid­di­schen Spra­che mit den his­to­ri­schen und kul­tu­rel­len Um­stän­den, un­ter de­nen die­se Ent­wick­lung statt­fand. Wes­halb wir es nicht nur mit einer sprach­his­to­ri­schen Ab­hand­lung zu tun ha­ben, son­dern eben­so mit der Ge­schich­te und Kultur jü­di­schen Lebens in Eu­ro­pa und den Län­dern, in die es die "Jid­den" ver­schla­gen hat­te.

Ein Glossar jiddischer Aus­drü­cke, eine Bi­blio­gra­fie zur jid­di­schen Spra­che (wo al­ler­dings das deutsch­spra­chi­ge Werk Sal­cia Land­manns "Jid­disch. Aben­teu­er einer Sprache" nicht auf­ge­führt ist) so­wie ein um­fang­rei­ches Re­gis­ter be­schlie­ßen den Band.


Sprache

25. August 2024

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