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Oskar Maria Graf Verbrennt mich Oskar Maria Graf
(1894 – 1967)

Als am 10. Mai 1933 die Schei­ter­hau­fen mit Wer­ken genährt wur­den, de­ren Inhalte den Brand­stif­tern un­er­träg­lich wa­ren, fehlte ein Name bei die­sem Au­to­da­fé: der des "Hei­mat­dich­ters" Os­kar Ma­ria Graf.

Graf befand sich zu die­ser Zeit, ge­mein­sam mit seiner Le­bens­ge­fähr­tin Mirjam Sachs, zu­fäl­lig in Österreich und erfuhr aus der Zeitung über das Ge­sche­hen. Am 12. Mai wandte er sich in der "Arbeiterzeitung", dem Zen­tral­or­gan der So­zial­de­mo­kra­tischen Ar­bei­ter­par­tei Ös­ter­reichs, unter der Über­schrift "Verbrennt mich!" mit dem fol­gen­den Text an die Öf­fent­lich­keit:

Verbrennt mich!

Verbrennt michWie fast alle links ge­rich­te­ten, ent­schie­den sozialistischen Geis­ti­gen in Deutschland, ha­be auch ich et­li­che Segnungen des neuen Re­gimes zu spüren be­kom­men: Wäh­rend mei­ner zu­fäl­li­gen Ab­we­sen­heit aus Mün­chen erschien die Po­li­zei in meiner dortigen Woh­nung, um mich zu verhaften. Sie be­schlag­nahm­te einen großen Teil un­wie­der­bring­licher Ma­nu­skrip­te, müh­sam zu­sam­men­ge­tra­ge­nes Quel­len­stu­dien­ma­te­rial, mei­ne sämt­lichen Ge­schäfts­pa­pie­re und einen großen Teil meiner Bü­cher. Das alles harrt nun der wahrscheinlichen Ver­bren­nung. Ich habe also mein Heim, meine Arbeit und – was am Schlimmsten ist – die hei­mat­liche Erde verlassen müs­sen, um dem Kon­zen­tra­tions­la­ger zu entgehen. Die schönste Über­ra­schung aber ist mir erst jetzt zuteil geworden: Laut ,Berliner Bör­sen­cou­rier' stehe ich auf der ,weißen' Au­to­ren­liste des neu­en Deutsch­lands, und alle meine Bücher, mit Aus­nah­me mei­nes Haupt­wer­kes ,Wir sind Ge­fan­ge­ne', werden ,emp­foh­len': Ich bin also dazu berufen, einer der Ex­po­nen­ten des ,neu­en' deutschen Geistes zu sein! Vergebens frage ich mich, wo­mit ich diese Schmach verdient habe?

Das Dritte Reich hat fast das ganze deutsche Schrifttum von Be­deu­tung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirk­lichen deutschen Dich­tung, hat die größte Zahl seiner we­sent­lichs­ten Schrift­steller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Wer­ke in Deutschland un­mög­lich ge­macht. Die Ah­nungs­lo­sig­keit einiger wichtigtuerischer Kon­junk­tur­schrei­ber und der hem­mungs­lo­se Vandalismus der augenblicklich herr­schen­den Ge­walt­ha­ber versuchen all das, was von unserer Dichtung und Kunst Welt­gel­tung hat, auszurotten und den Begriff ,deutsch' durch eng­stir­nigsten Nationalismus zu ersetzen. Ein Na­tio­na­lis­mus, auf dessen Ein­ge­bung selbst die geringste frei­heit­liche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf des­sen Befehl alle meine auf­rech­ten sozialistischen Ge­nos­sen ver­folgt, eingekerkert, ge­fol­tert, ermordet oder aus Ver­zweif­lung in den Freitod ge­trieben werden! Und die Vertreter die­ses barbarischen Na­tio­na­lis­mus, der mit Deutsch­sein nichts, aber auch schon gar nichts zu tun hat, un­ter­ste­hen sich, mich als einen ihrer ,Geistigen' zu be­an­spru­chen, mich auf ihre sogenannte weiße Liste zu setzen, die vor dem Welt­ge­wis­sen nur eine schwar­ze Liste sein kann! Diese Unehre ha­be ich nicht verdient!

Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schrei­ben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bü­cher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet wer­den und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hir­ne der braunen Mordbanden ge­lan­gen. Verbrennt die Wer­ke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!

Ein Jahr später wurden seine Bü­cher in einer eigens für ihn an­ge­setz­ten Bü­cher­ver­bren­nung nachträglich vernichtet und sei­ne Werke in Deutsch­land verboten.

Oskar Maria Graf kehrte nicht mehr nach Deutschland zu­rück, wur­de 1934 aus­ge­bür­gert und blieb bis 1957 staatenlos. Er floh über die Nie­der­lan­de in die USA, wo ihm die Ein­bür­ge­rung zwei Jahrzehnte lang verwehrt blieb. Man be­ob­ach­te­te ihn, das FBI legte eine Akte an. Erst 1957 erhielt er die US-Staats­bürgerschaft, nachdem man eine Passage aus der Ei­des­for­mel gestrichen hatte, die ihn verpflichtet hätte, das Land mit der Waffe zu verteidigen. So blieb er seinem Pa­zi­fis­mus treu, der ihn während des Vietnam-Kriegs auch ver­an­lass­te, einen Appell an Papst Paul VI. zu richten, in dem er ihn aufforderte, das biblische Gebot "Du sollst nicht töten" den Gläu­bi­gen gegenüber als ernst­zu­neh­men­de Maxime zu be­nen­nen.

Graf reiste noch einige Male zu Lesungen aus seinem Werk nach Deutschland, mit der gesellschaftlichen Ent­wick­lung dort konn­te er sich allerdings nicht anfreunden, er kehrte im­mer wie­der zu­rück in die USA, wo er 1967 verstarb.

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10. Mai 2023

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