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Philipp Blom, der als junger Mann ernsthafte Ambitionen auf eine Karriere als Violinist hegte, erwirbt Jahrzehnte später eine Geige, es ist seine Dritte, die ihn aus mehreren Gründen fasziniert. Zwar ist er schon lange von seinen Träumen einer professionellen Karriere als Musiker abgekommen und betätigt sich journalistisch und als Buchautor, doch das Geigenspiel und die Faszination für die Instrumente hat ihn nie wirklich verlassen. Als er bei einem Händler auf diese spezielle Geige stößt, entwickelt sich eine Beziehung zu dem Instrument, dessen Geheimnisse er lüften möchte. Im Corpus der Geige findet sich ein Zettel, der auf den Geigenbauer Carlo Giuseppe Testore aus Mailand und das Jahr 1605 verweist. Ein weiterer Zettel vermerkt eine Reparatur, die 1882 ausgeführt wurde. Nun ist aber der Geigenbauer Testore erst 1660 geboren worden, der Zettel also eine Fälschung, die ein älteres Baujahr und damit eine Wertsteigerung vortäuschen soll. Der Händler, von dem Blom die Geige erworben hatte, schätzt sie als im frühen 18. Jahrhundert in Italien gebaut, allerdings sei auch ein Allgäuer Einfluss zu erkennen. Füssen im Allgäu galt einst als Zentrum des Lauten- und Geigenbaus. Hunderte Handwerker sind hier über die Jahrhunderte ausgebildet worden und in verschiedene Länder Europas emigriert, wo sie zum Teil erheblichen Einfluss auf den Geigenbau nehmen konnten. Besonders in Italien dominierten aus Füssen stammende Geigenbauer das Handwerk im 17. und 18. Jahrhundert, und Blom imaginiert einen jungen, vermutlich jugendlichen Füssener, der sich dem Zug von Handelsvertretern und Handwerkern über die Alpen angeschlossen hat, um in Italien Arbeit und Wohlstand zu finden. Blom konsultiert mehrere Experten für Geigenbau, er veranlasst zwei dendrologische Untersuchungen der Geige, die Einschätzungen, die er erhält, weichen zum Teil deutlich voneinander ab. Sowohl was das Jahr der Entstehung des Instruments betrifft, als auch der Ort, in dem sich die Werkstatt befand, aus der die Geige stammt, differieren derart, dass eine konkrete Zuordnung zur Enttäuschung des Autors unmöglich ist. Für die Leser*innen hat das den Vorteil, dass wir jede Menge über die Tradition des Geigenbaus und seine lokalen Varianten erfahren sowie über das musikalische Leben in den Städten, in denen es bemerkenswerte Werkstätten des Geigenbaus gegeben hat. Ein weiterer Exkurs gilt dem Füssener Totentanz, in dem der Tod den Menschen mit einer Geige aufspielt. Am Ende bleibt nur eine Annäherung, eine nicht unfundierte Vermutung, dass die Geige im frühen 18. Jahrhundert in einer venezianischen Werkstatt entstanden ist und 1882 in Wien repariert und modernisiert worden war. Nichtsdestotrotz eine interessante und kenntnisreiche Lektüre. Philipp Blom (*1970) wuchs in einer musikalischen Familie auf, seine Mutter war Sängerin, sein Vater Dirigent. Er studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik und arbeitet als Journalist und Schriftsteller. Seine Publikationen sind vor allem geistesgeschichtlicher Natur. ---------------------------- 7. April 2024 → Musik → Reisen |
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