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Philipp Blom Eine italienische Reise Philipp Blom
Eine italienische Reise.
Auf den Spuren des Aus­wan­de­rers, der vor 300 Jahren meine Gei­ge baute.
Carl Hanser Ver­lag 2018, 319 Sei­ten
ISBN 978-3-446-26071-9

Philipp Blom, der als jun­ger Mann ernst­haf­te Am­bi­tio­nen auf eine Kar­rie­re als Violinist heg­te, erwirbt Jahr­zehn­te spä­ter eine Geige, es ist sei­ne Dritte, die ihn aus meh­re­ren Gründen fas­zi­niert. Zwar ist er schon lange von seinen Träu­men ei­ner pro­fes­sio­nel­len Kar­rie­re als Mu­si­ker ab­ge­kom­men und be­tä­tigt sich jour­na­lis­tisch und als Buch­au­tor, doch das Gei­gen­spiel und die Fas­zi­na­tion für die In­stru­men­te hat ihn nie wirk­lich ver­las­sen. Als er bei ei­nem Händ­ler auf die­se spe­ziel­le Gei­ge stößt, ent­wi­ckelt sich ei­ne Be­zie­hung zu dem In­stru­ment, des­sen Ge­heim­nis­se er lüften möch­te.

Im Corpus der Geige fin­det sich ein Zettel, der auf den Gei­gen­bau­er Carlo Giuseppe Tes­to­re aus Mai­land und das Jahr 1605 ver­weist. Ein wei­te­rer Zet­tel ver­merkt eine Re­pa­ra­tur, die 1882 aus­ge­führt wur­de. Nun ist aber der Gei­gen­bau­er Tes­to­re erst 1660 ge­bo­ren wor­den, der Zet­tel al­so ei­ne Fäl­schung, die ein äl­te­res Bau­jahr und da­mit ei­ne Wert­stei­ge­rung vor­täu­schen soll. Der Händ­ler, von dem Blom die Geige er­wor­ben hat­te, schätzt sie als im frü­hen 18. Jahr­hun­dert in Ita­lien ge­baut, al­ler­dings sei auch ein All­gäu­er Ein­fluss zu er­ken­nen.

Füssen im Allgäu galt einst als Zentrum des Lau­ten- und Gei­gen­baus. Hunderte Hand­wer­ker sind hier über die Jahr­hun­der­te aus­ge­bil­det wor­den und in ver­schie­de­ne Län­der Eu­ro­pas emi­griert, wo sie zum Teil erheblichen Ein­fluss auf den Gei­gen­bau neh­men konn­ten. Besonders in Ita­lien do­mi­nier­ten aus Füs­sen stam­men­de Gei­gen­bau­er das Hand­werk im 17. und 18. Jahr­hun­dert, und Blom ima­gi­niert ei­nen jungen, ver­mut­lich ju­gend­li­chen Füs­se­ner, der sich dem Zug von Han­dels­ver­tre­tern und Hand­wer­kern über die Al­pen an­ge­schlos­sen hat, um in Ita­lien Arbeit und Wohl­stand zu fin­den.

Blom konsultiert meh­re­re Ex­per­ten für Gei­gen­bau, er ver­an­lasst zwei den­dro­lo­gi­sche Un­ter­su­chun­gen der Gei­ge, die Ein­schät­zun­gen, die er er­hält, wei­chen zum Teil deut­lich von­ei­nan­der ab. So­wohl was das Jahr der Ent­ste­hung des In­stru­ments be­trifft, als auch der Ort, in dem sich die Werk­statt be­fand, aus der die Geige stammt, dif­fe­rie­ren der­art, dass ei­ne kon­kre­te Zu­ord­nung zur Ent­täu­schung des Au­tors un­mög­lich ist. Für die Le­ser*­in­nen hat das den Vor­teil, dass wir jede Men­ge über die Tra­di­tion des Gei­gen­baus und sei­ne lo­ka­len Va­rian­ten er­fah­ren sowie über das mu­si­ka­li­sche Le­ben in den Städ­ten, in denen es be­mer­kens­wer­te Werk­stät­ten des Gei­gen­baus ge­ge­ben hat. Ein wei­te­rer Ex­kurs gilt dem Füs­se­ner To­ten­tanz, in dem der Tod den Men­schen mit ei­ner Gei­ge auf­spielt.

Am Ende bleibt nur eine An­nä­he­rung, eine nicht un­fun­dier­te Ver­mu­tung, dass die Gei­ge im frü­hen 18. Jahr­hun­dert in einer ve­ne­zia­ni­schen Werk­statt ent­stan­den ist und 1882 in Wien re­pa­riert und mo­der­ni­siert wor­den war. Nichts­des­to­trotz eine in­te­res­san­te und kennt­nis­rei­che Lek­tü­re.

Philipp Blom (*1970) wuchs in ei­ner mu­si­ka­li­schen Fa­mi­lie auf, seine Mut­ter war Sän­ge­rin, sein Vater Di­ri­gent. Er stu­dier­te Philosophie, Ge­schich­te und Ju­da­is­tik und ar­bei­tet als Jour­na­list und Schrift­stel­ler. Sei­ne Pu­bli­ka­tio­nen sind vor al­lem geis­tes­ge­schicht­li­cher Natur.

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7. April 2024

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