Kassiber | |||||
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John Glassie Athanasius Kircher (1602 – 1680) war schon zu Lebzeiten umstritten. Viele sahen ihn als einen Universalgelehrten, dessen Wissen unbegrenzt schien. Andere hielten ihn für einen Blender und Scharlatan. Er erhielt Unterstützung aus den höchsten Kreisen des Klerus und manches Königshaus ließ sich von ihm beraten. Auch der junge Leibniz bewunderte ihn und fragte ihn um Rat [1]. Kircher wurde in der Rhön geboren und trat 1618 dem Jesuitenorden bei, arbeitete nach dem Studium der Philosophie und Theologie als Lehrer für Mathematik, Hebräisch und Syrisch. Den Wirren des Dreißigjährigen Krieges entfloh er nach Frankreich, später nach Rom ans Collegium Romanum, an dem er viele Jahrzehnte lehrte und forschte. Sein Forschungsdrang kannte kaum Grenzen. Er widmete sich der Entzifferung der Hieroglyphen, dem Magnetismus, der Mathematik, der Astronomie, der Medizin, der Geographie und einer Vielzahl weiterer Themen. Und jedes Mal entstand daraus ein umfangreiches Druckerzeugnis, das nicht selten aufwändig illustriert war und weite Verbreitung fand. In seiner "Ekstatischen Reise" [2] sehen wir ihn als einen Vorläufer der späteren Science-Fiction-Literatur, und er arbeitete an dem Entwurf einer Universalsprache. Er veröffentlichte Werke über die Arche Noah [3] und den Turm zu Babel, die europaweite Beachtung fanden. Er entwickelte ein System zur Übertragung geheimer Botschaften, entwarf eine Apparatur für musikalische Kompositionen und eine für mathematische Berechnungen, ein Perpetuum mobile wurde in Angriff genommen aber nicht vollendet. Daneben gründete und bestückte er das Museum Kircherianum, wo es unter anderem den Schwanz einer Meerjungfrau zu sehen gab, und das für Rombesucher eine Sehenswürdigkeit der besonderen Art darstellte [4]. Kirchers Werke sind eine Mischung aus Beobachtetem und Spekulativem, in vielem spiegelten sie den Geist der Zeit, in manchem gingen sie darüber hinaus. Und so absurd manches nachträglich betrachtet auch erscheinen mag, so hat er doch Spuren hinterlassen, die zum Teil noch heute wirken. Ohne seine Arbeiten über die koptische Sprache wäre Jean-Francois Champollion hundertfünfzig Jahre später womöglich nicht in der Lage gewesen, die Hieroglyphen auf dem Stein von Rosette zu entziffern, was den Beginn einer neuen Ära in der Ägyptologie bedeutete. Kircher war einer der Ersten, der ein Mikroskop zur Erforschung von Krankheiten benutzte und seine Studien zur Magie und Mystik finden noch heute in esoterischen Kreisen ihren Nachhall [5]. Nicht zuletzt ist sogar ein Mondkrater nach ihm benannt [6]. In seinen letzten Lebensjahren verblasste allerdings sein Ruhm, die weitere Erforschung der Welt hatte sein Werk in den Hintergrund gedrängt. Er versuchte dem entgegen zu wirken, indem er seine Autobiografie verfasste, die aber erst postum veröffentlicht werden konnte. Die Nachwelt sieht ihn vor allem als genialen Scharlatan, als Kuriosum der Wissenschaftsgeschichte. Aber hat nicht auch Newton, dem wir grundlegende Erkenntnisse der Naturwissenschaften verdanken, sich ebenso intensiv – theoretisch und praktisch – mit Alchemie befasst und anderen, heute als fragwürdig erkannten, Theorien angehängt? [7] ---------------------------- 1. "Nicht ohne Grund meinte Paula Findlen: »Praktisch jedes größere wissenschaftliche, linguistische und historische Projekt, das er sich vornahm, war direkt durch die Lektüre von Kirchers Werken inspiriert.«" S. 243 2. Itinerarium extaticum (1656) 3. "... um die genauen Maße der Arche zu bestimmen, die Noah laut der Bibel von Gott erhalten hatte, verglich Kircher die vorhandenen Berichte in Hebräisch, Chaldäisch, Arabisch, Syrisch, Latein und Griechisch. Mithilfe von Galileis Studien über schwimmende Körper berechnete er den Auftrieb der Arche und entwarf ein ausklappbares Blatt, auf dem gezeigt wurde, wo die einzelnen Tiere untergebracht waren." S. 259 4. "In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts waren in ganz Europa Raritäten- oder Kuriositätenkabinette in Mode gekommen, die sich später zu den Wunder- oder Kunstkammern des Barock entwickelten." S. 171 5. Besonders das in den Jahren 1652 bis 1654 in drei Bänden erschienene Oedipus Aegyptiacus. 6. Der Krater wurde 1935 offiziell nach Kircher benannt. 7. "Über die Hälfte aller schriftlichen Äußerungen Newtons beschäftigt sich mit Theologie und Religion, außerdem hat er mehr als eine Million Wörter über alchemistische Themen notiert." S. 284 ---------------------------- 26. Juli 2020 → Religion |
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