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Inge Jens beschreibt Personen, Projekte, Phasen ihres Lebens in essayistischer Form, sodass keine Autobiografie im herkömmlichen Sinn entstanden ist. Es sind eher Inseln der Erinnerung, die aus dem Strom ihres Lebens herausragen, Stationen, denen sie eine besondere Bedeutung beimisst. Kapitel übergreifend ist ihre Beschäftigung mit den Korrespondenzen und Tagebüchern der Familie Mann, mit deren sachkundiger Publikation sie erstmals öffentlich aus dem Schatten ihres Mannes Walter Jens treten konnte. Eine besondere Rolle spielt die Beziehung zu Hans Mayer, dem sie beruflich und privat eng verbunden war. Ihr Engagement gegen die Stationierung von Pershingraketen im Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluss im Dezember 1979 nimmt breiten Raum ein, ebenso ihre Versuche, sich als Mutter zweier Söhne eine berufliche Karriere aufzubauen. Reisen in die DDR und Kontakte zur dortigen Friedensbewegung sowie die Arbeit an verschiedenen Publikationen werden ausführlich behandelt. Und – im letzten Kapitel des Buches – die Auseinandersetzung mit der Krankheit ihres Mannes Walter, der zunehmend in die Demenz abglitt. Mich hat das Buch eher irritiert als interessiert. Abgesehen von einer Sprache, die von Ausdrücken wie "selbdritt" und "selbzweit" durchzogen ist, waren es vor allem die Erinnerungen an ihre Zeit im Nationalsozialismus, die den Eindruck einer nur oberflächlichen, um nicht zu sagen naiven Auseinandersetzung damit entstehen ließ. 1927 geboren erlebte sie ihre Jugend in Hamburg als glücklich, machte Karriere im JM (Jungmädelbund) und beim BDM (Bund Deutscher Mädel) und ist dann ganz überrascht, dass man ihr "als ehemalige HJ-Führerin" (Selbstbezeichnung S. 53) 1946 eine Absage erteilt, als sie beim Nordwestdeutschen Rundfunk eine Anstellung anstrebt. Auch die SS-Uniform ihres Vaters (er war Sturmführer einer Nachrichtenabteilung der SS) empfand sie nicht als irgendwie nachdenkenswert, Filme wie "Jud Suß" nicht als indoktrinierend (S. 33) und wären nicht die Bombenangriffe der Alliierten gewesen, die ihr heimatliches Umfeld zerstört haben, wäre ein weiterer Aufstieg in der Hierarchie der Nazis durchaus vorstellbar gewesen. Sie war damit sicher kein Einzelfall und es gereicht ihr zur Ehre, in den Erinnerungen darüber mit dieser Offenheit zu schreiben. Dennoch hat dieses erste Kapitel und ihre Unfähigkeit, die eigene Rolle in dem System tiefgreifender zu reflektieren, meine weitere Lektüre überschattet und getrübt. ---------------------------- 17. Januar 2024 |
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