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Adolfo Kaminsky Ein Fälscherleben Sarah Kaminsky
Adolfo Kaminsky – Ein Fäl­scher­le­ben.
Aus dem Fran­zö­si­schen von Bar­ba­ra He­ber-Schä­rer.
Verlag Antje Kunst­mann 2011, 217 Sei­ten
ISBN 978-3-88897-731-2

Was für ein Leben! Adol­fo Ka­mins­ky wur­de 1925 in Ar­gen­ti­nien als Sohn jüdisch-rus­si­scher El­tern ge­bo­ren. 1932, im Alter von sieben Jah­ren, zog er mit seiner Fa­mi­lie nach Frank­reich, wo er eine Lehre in einer Färberei be­gann und sein In­te­res­se an chemischen Ex­pe­ri­men­ten ent­deck­te.

Nach der Besetzung Frank­reichs durch die deut­sche Wehr­macht schloss sich Ka­mins­ky der Ré­sis­tance an. Auf­grund sei­ner Che­mie­kennt­nis­se wur­de er der "Sechs­ten", ei­ner klei­nen jü­di­schen Grup­pe, die in Paris ein Fäl­scher­la­bor der Wi­der­stands­be­we­gung be­trieb, zu­ge­teilt. Ka­mins­ky fälsch­te Aus­weis­do­ku­men­te, Le­bens­mit­tel­kar­ten und andere wich­ti­ge Pa­pie­re, die Juden, Wi­der­stands­kämp­fern und an­de­ren Ver­folg­ten hal­fen, der Na­zi-Ver­fol­gung zu ent­kom­men.

1943 wurden er und sei­ne Fa­mi­lie im Sam­mel­la­ger Dran­cy in­ter­niert, von wo aus ihre De­por­ta­tion in ein deutsches Kon­zen­tra­tions­la­ger er­fol­gen soll­te. Die ar­gen­ti­ni­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit rettete sie. 1944, kurz vor der Be­frei­ung von Pa­ris, wur­de sei­ne Grup­pe ver­ra­ten und er muss­te un­ter­tau­chen. Nach Kon­tak­ten zum fran­zö­si­schen Ge­heim­dienst stell­te er Pa­pie­re für Agenten her, die in Deutsch­land In­for­ma­tio­nen sam­mel­ten.

Da seine Legalisierung nach dem Ende des 2. Welt­kriegs an bü­ro­kra­ti­schen Hin­der­nis­sen schei­ter­te, lebte er die nächs­ten Jahr­zehn­te un­ter fal­scher Identität.

Nach dem Krieg ar­bei­te­te Ka­mins­ky in Paris als Fo­to­graf. Mit­glie­der der jüdischen Ge­heim­or­ga­ni­sa­tion Haganah, die in Eu­ro­pa ent­wur­zel­ten Ju­den die Einreise nach Pa­läs­ti­na er­mög­li­chen wollten, tra­ten an ihn heran, und er pro­du­zier­te Aus­wei­se und Vi­sa in großer Zahl.

Wegen der ko­lo­nia­lis­ti­schen Ak­ti­vi­tä­ten Frank­reichs trenn­te sich Ka­mins­ky vom fran­zö­si­schen Ge­heim­dienst und en­ga­gier­te sich bald in der Un­ter­stüt­zung der algerischen Un­ter­grund­or­ga­ni­sa­tion FLN. Durch Kontakte, die in dieser Zeit ent­stan­den, erweiterte er sei­ne Tätigkeit und fälsch­te Pa­pie­re für afri­ka­ni­sche und süd­ame­ri­ka­ni­sche Be­frei­ungs­be­we­gun­gen sowie für Kämp­fer gegen die Dik­ta­tu­ren in Portugal, Spa­nien und Grie­chen­land.

1971 beendete er seine il­le­ga­le Tä­tig­keit, da sich die Zei­chen mehr­ten, dass das Netz­werk, dem er an­ge­hör­te, un­dicht ge­wor­den war, er rech­ne­te mit sei­ner Ent­tar­nung und floh nach Al­ge­rien. Dort hei­ra­te­te er und bekam Kin­der, sei­ne Tochter Sa­rah wird spä­ter sei­ne Bio­gra­fie ver­fas­sen. 1982 ent­schloss sich die Fa­mi­lie, nach Frankreich zu­rück­zu­keh­ren, da die Ent­wick­lung der Ver­hält­nis­se in Al­ge­rien Schlim­mes be­fürch­ten ließ.

Adolfo Kaminsky starb 2023, 97-jährig, in Pa­ris.

Sein Antrieb für dieses ent­beh­rungs­rei­che Le­ben war nach ei­ge­ner Aus­sa­ge eine tie­fe hu­ma­nis­ti­sche Ver­bun­den­heit mit al­len Verfolgten. So be­en­de­te er, der zeit­wei­se auch an der Ent­wick­lung von Zün­dern für Spreng­sät­ze be­tei­ligt war, sei­ne Zu­sam­men­ar­beit mit Grup­pen, von de­nen er den Ein­druck ge­won­nen hat­te, dass sie Ge­walt auch ge­gen Un­be­tei­lig­te in Kauf nehmen wür­den. Da er sich für seine Fäl­schun­gen nie hat­te be­zah­len lassen, be­wahr­te er sich eine Un­ab­hän­gig­keit, die es ihm er­mög­lich­te, un­ge­woll­te oder ver­däch­ti­ge Kon­tak­te je­der­zeit zu be­en­den. Trotz aller Vor­sichts­maß­nah­men ist es doch er­staun­lich, dass er etwa 30 Jah­re lang arbeiten konnte oh­ne je­mals enttarnt zu wer­den.

Das Buch ist in Form ei­nes In­ter­views ge­schrie­ben. Sarah stellt einige we­ni­ge Fragen, Adol­fo ant­wor­tet umfassend, und man darf davon aus­ge­hen, dass die Toch­ter diese Ant­wor­ten ent­spre­chend re­di­giert hat. He­raus­ge­kom­men ist das Hel­den­epos ei­ner Toch­ter für ihren Va­ter und das ist der Ma­kel an die­sem span­nen­den und in­halt­lich hoch in­te­res­san­ten Buch.


4. Juni 2024

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