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Czeslaw Milosz' Roman Das Tal der Issa, erstmals 1955 erschienen, ist ein vielschichtiges Werk zwischen autobiografischer Erinnerung, philosophischer Reflexion und erzählender Naturbetrachtung. In der Weite des litauischen Landes vor dem Ersten Weltkrieg entfaltet sich ein stilles Epos über Kindheit, Natur und Vergänglichkeit. Milosz zeichnet das facettenreiche Bild einer versinkenden Welt, durchdrungen von Mystik, kultureller Mehrdeutigkeit und tiefer Naturverbundenheit. Das titelgebende Tal wird zum poetischen Resonanzraum, in dem Erinnerungen, mythische Bedeutungen und seelische Landschaften verschmelzen. Die Natur ist dabei Spiegel und Mitgestalterin innerer Entwicklungen, ebenso das Spannungsverhältnis zwischen heidnischem Volksglauben und katholisch-aristokratischer Ordnung. Im Mittelpunkt steht der Junge Thomas, ein Alter Ego des Autors. Seine geistige Entwicklung kreist um zentrale Fragen von Gut und Böse, Schuld, Unschuld und der Rolle des Menschen im Weltgefüge. Die episodische, langsame Erzählweise deutet die Themen eher an, als sie explizit auszuführen: gesellschaftliche und politische Umbrüche, Nationalismus, ethnische Spannungen, soziale Veränderungen. Der Roman entstand im Pariser Exil und ist tief mit Milosz' Kindheit verbunden. Das Dorf Ginie, in dem Thomas bei seinen Großeltern lebt, scheint lange vom Lauf der Geschichte unberührt, ist jedoch von inneren Konflikten geprägt. Ein Mord, ein Suizid oder das Quälen eines Hundes werden durch die Augen des Kindes geschildert und machen die Konfrontation mit Tod und Schuld zum Leitmotiv. Auch die soziale Distanz zwischen Thomas und den Dorfbewohnern wird spürbar. In der Bibliothek seines Großvaters entdeckt Thomas die Geschichte des Vorfahren Hieronymus Surkont, dessen Zerrissenheit zwischen Loyalität, Herkunft und Überzeugung zum Spiegel seiner inneren Konflikte wird. Das Tal der Issa ist eine literarische Meditation über Kindheit, Erinnerung und die Fragilität menschlicher Gewissheiten. Czeslaw Milosz wurde am 30. Juni 1911 in Seteniai, Litauen (damals Russisches Kaiserreich) geboren und starb am 14. August 2004 in Krakau. Er arbeitete als Dichter, Schriftsteller, Essayist, Übersetzer und Diplomat. 8. Mai 2025 |
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