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Czeslaw Milosz Tal der Issa Czeslaw Milosz
Das Tal der Issa. Roman.
Aus dem Pol­ni­schen von Mary­la Rei­fen­berg.
Eichborn Verlag 1999, 352 Sei­ten, ISBN 3-8218-4175-3

Czeslaw Milosz' Ro­man Das Tal der Issa, erst­mals 1955 er­schie­nen, ist ein viel­schich­ti­ges Werk zwi­schen au­to­bio­gra­fi­scher Er­in­ne­rung, phi­lo­so­phi­scher Re­fle­xion und er­zäh­len­der Na­tur­be­trach­tung. In der Wei­te des li­taui­schen Lan­des vor dem Ers­ten Welt­krieg ent­fal­tet sich ein stil­les Epos über Kind­heit, Na­tur und Ver­gäng­lich­keit. Mi­losz zeich­net das fa­cet­ten­rei­che Bild ei­ner ver­sin­ken­den Welt, durch­drun­gen von Mys­tik, kul­tu­rel­ler Mehr­deu­tig­keit und tie­fer Na­tur­ver­bun­den­heit.

Das titelgebende Tal wird zum poe­ti­schen Re­so­nanz­raum, in dem Er­in­ne­run­gen, my­thi­sche Be­deu­tun­gen und see­li­sche Land­schaf­ten ver­schmel­zen. Die Na­tur ist da­bei Spie­gel und Mit­ge­stal­te­rin in­ne­rer Ent­wick­lun­gen, eben­so das Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen heid­ni­schem Volks­glau­ben und ka­tho­lisch-aris­to­kra­ti­scher Ord­nung.

Im Mittelpunkt steht der Jun­ge Tho­mas, ein Al­ter Ego des Au­tors. Sei­ne geis­ti­ge Ent­wick­lung kreist um zen­tra­le Fra­gen von Gut und Böse, Schuld, Un­schuld und der Rol­le des Men­schen im Welt­ge­fü­ge. Die epi­so­di­sche, lang­sa­me Er­zähl­wei­se deu­tet die The­men eher an, als sie ex­pli­zit aus­zu­füh­ren: ge­sell­schaft­li­che und po­li­ti­sche Um­brü­che, Na­tio­na­lis­mus, eth­ni­sche Span­nun­gen, so­zia­le Ver­än­de­run­gen.

Der Roman entstand im Pa­ri­ser Exil und ist tief mit Mi­losz' Kind­heit ver­bun­den. Das Dorf Ginie, in dem Tho­mas bei sei­nen Großeltern lebt, scheint lan­ge vom Lauf der Ge­schich­te un­be­rührt, ist je­doch von in­ne­ren Kon­flik­ten ge­prägt. Ein Mord, ein Sui­zid oder das Quä­len ei­nes Hun­des wer­den durch die Au­gen des Kin­des ge­schil­dert und ma­chen die Kon­fron­ta­tion mit Tod und Schuld zum Leit­mo­tiv. Auch die so­zia­le Dis­tanz zwi­schen Tho­mas und den Dorf­be­woh­nern wird spür­bar.

In der Bibliothek seines Groß­va­ters ent­deckt Tho­mas die Ge­schich­te des Vor­fah­ren Hie­ro­ny­mus Sur­kont, des­sen Zer­ris­sen­heit zwi­schen Lo­ya­li­tät, Her­kunft und Über­zeu­gung zum Spie­gel sei­ner in­ne­ren Kon­flik­te wird.

Das Tal der Issa ist eine li­te­ra­ri­sche Me­di­ta­tion über Kind­heit, Er­in­ne­rung und die Fra­gi­li­tät mensch­li­cher Ge­wiss­hei­ten.

Czeslaw Milosz wur­de am 30. Juni 1911 in Se­te­niai, Li­tauen (da­mals Rus­si­sches Kai­ser­reich) ge­bo­ren und starb am 14. Au­gust 2004 in Kra­kau. Er ar­bei­te­te als Dich­ter, Schrift­stel­ler, Es­sa­yist, Über­set­zer und Di­plo­mat.
Nach dem Studium der Rechts­wis­sen­schaf­ten an der Ste­fan-Ba­to­ry-Uni­ver­si­tät in Wil­na (heu­te Vil­nius) de­bü­tier­te er als Dich­ter in den 1930er Jah­ren. Wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs war er Teil des pol­ni­schen Un­ter­grunds in War­schau. Nach Kriegs­en­de ar­bei­te­te er im di­plo­ma­ti­schen Dienst der pol­ni­schen Re­gie­rung in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und Frank­reich. 1951 bat er in Frank­reich um po­li­ti­sches Asyl.
Ab 1960 lebte er in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und war Pro­fes­sor für sla­wi­sche Spra­chen und Li­te­ra­tur an der Uni­ver­si­ty of Ca­li­for­nia, Berkeley, bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1980. Im sel­ben Jahr er­hielt er den No­bel­preis für Li­te­ra­tur.


8. Mai 2025

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