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Margriet de Moor Schlaflose Nacht Margriet de Moor
Schlaf­lo­se Nacht.
Aus dem Nie­der­län­di­schen von Hel­ga van Beu­nin­gen.
Carl Han­ser Ver­lag 2016, 127 Sei­ten
ISBN 978-3-446-25280-6

Die namenlose Er­zäh­le­rin hat ge­lernt mit ih­rer Schlaf­lo­sig­keit um­zu­ge­hen. Statt sich rast­los im Bett he­rum­zu­wäl­zen und die Stun­den zu zäh­len, geht sie in die Kü­che und backt Ku­chen. Wäh­rend ein Stock­werk über ihr ein Mann schläft, der auf ihre Kon­takt­an­zei­ge rea­giert hatte und den sie am Mor­gen des Ta­ges vom Bahnhof ab­ge­holt hat­te, be­rei­tet sie al­les vor. Er­in­ne­run­gen be­glei­ten ihre rou­ti­nier­ten Abläufe, Ge­dan­ken und un­be­ant­wor­te­te Fra­gen stel­len sich ein, vor al­lem die nach dem Mo­tiv für den un­er­war­te­ten Suizid ih­res Man­nes.

Der hatte sich nach 14-mo­na­ti­ger Ehe in dem Ge­wächs­haus, in dem er mit neu­ar­ti­gen Me­tho­den des Anbaus ex­pe­ri­men­tier­te, völlig über­ra­schend das Le­ben ge­nom­men. In­dem die Er­zäh­le­rin den Be­ginn ihrer Beziehung zu Ton, ih­rem Mann, re­kon­stru­iert, forscht sie nach un­be­merk­ten Schat­ten, nach Spu­ren, die eine Erklärung er­mög­li­chen wür­den. Da­bei ent­ste­hen nicht sel­ten Dis­kre­pan­zen durch die sach­li­che Art der Be­schrei­bung von in­ten­si­ven und emotional auf­ge­la­de­nen Mo­men­ten. Hier er­zählt eine Drit­te, eine Be­ob­ach­te­rin, die Ge­schich­te ei­nes Paa­res und einer Über­le­ben­den. Die Fra­gen, die sie stellt, die sich ihr stel­len, sind eher de­tek­ti­vi­scher Na­tur als sol­che aus Be­trof­fen­heit. Der Tod ih­res Man­nes, die Spon­ta­nei­tät ihres Ken­nen­ler­nens, die Näch­te mit Män­nern, die auf ih­re An­zei­gen rea­gie­ren und die rein se­xu­el­len Cha­rak­ter haben, all das klingt ge­le­gent­lich wie das Pro­to­koll ei­ner Ver­neh­mung oder Zeu­gen­aus­sa­ge.

Und so mäandern die Ge­dan­ken der Er­zäh­le­rin durch eine schlaf­lo­se Nacht, alles bleibt in der Schwe­be, nichts löst sich auf, es wird nicht die letzte dieser Nächte ge­we­sen sein.

Die Novelle erschien zu­erst 1994 unter dem Ti­tel "Auf den ers­ten Blick" und liegt hier in ei­ner von der Autorin re­vi­dier­ten und neu über­setz­ten Aus­ga­be vor.

Margriet de Moor (*1941) gilt als eine der re­nom­mier­testen Au­to­r*in­nen der Nie­der­lan­de, sie wurde mehr­fach aus­ge­zeich­net.

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18. März 2024

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