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Alister Cox erhält einen Ruf nach Peking, wo der chinesische Kaiser Qianlong einige Aufträge für ihn bereit hält. Cox ist nicht nur Uhrmacher, er ist der Schöpfer einer ganzen Reihe von erstaunlichen Automaten, die seine Berühmtheit begründen. Mit drei seiner besten Mitarbeiter begibt er sich auf die Reise. Zwei Jahre zuvor war seine geliebte Tochter Abigail an Keuchhusten gestorben. Die Trauer darüber ließ seine Arbeit zum Erliegen kommen und seine Frau Faye verstummte. Die Distanz, die Reise dauerte immerhin sieben Monate, soll für neuen Auftrieb sorgen, die Herausforderungen durch neue und noch komplexere Geräte zur Messung und Anzeige der Zeit sollen Trauer und Verzweiflung überwinden. Der Chinese Joseph Kiang wird den Engländern als Übersetzer und Aufpasser zugewiesen, er soll das Scharnier zwischen den einander so fremden Welten sein. Cox wird mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert, denn Qianlong, der Herr der zehntausend Jahre, möchte die Zeit in der Verschiedenartigkeit subjektiver Wahrnehmung dargestellt sehen. "Der Kaiser wollte, daß Cox ihm für die fliegenden, kriechenden oder erstarrten Zeiten eines menschlichen Lebens Uhren baute, Maschinen, die gemäß dem Zeitempfinden eines Liebenden, eines Kindes, eines Verurteilten und anderer, an den Abgründen oder in den Käfigen ihrer Existenz gefangenen oder über den Wolken ihres Glücks schwebenden Menschen den Stunden- oder Tageskreis anzeigen sollten – das wechselnde Tempo der Zeit." (S. 83) Und so macht er sich daran, zuerst eine Winduhr, dann eine Uhr für Todgeweihte, für Sterbende zu bauen. Die Mittel, die er zur Verfügung hat, sind unbegrenzt, er und seine Mitarbeiter können ihren Fähigkeiten völlig freien Lauf lassen und entdecken dabei ständig neue. Pendelsysteme, Wasser-, Wind- und Sandmotoren werden bald übertroffen von immer vielschichtigeren Kombinationen und bislang noch nie genutzten Formen der Antriebsenergie. Cox hatte schon vor der Reise nach Peking ähnliche Experimente durchgeführt. Niemand wusste, dass die in den Grabstein seiner Tochter eingearbeitete Uhr durch die Erdwärme und die beim Zerfall des Körpers frei gesetzten sublimen Energien angetrieben wird. Schließlich äußert Qianlong einen Wunsch, der alles Vorherige in den Schatten stellt. Cox soll etwas bauen, das die Zeit bis in alle Ewigkeit misst und darstellt, ohne dass weitere Eingriffe nötig bzw. überhaupt möglich wären: ein perpetuum mobile! Eine zeitlose Uhr, die erst aufhören würde zu schlagen mit dem Ende der Zeit selbst. Cox und seine Mitarbeiter entwickeln eine Methode, die Schwankungen des Luftdrucks, die ständigen Wechsel in der Atmosphäre zum Antrieb dieses monströsen Gebildes zu nutzen. Aber erst Kiang macht sie darauf aufmerksam, dass mit Fertigstellung der Uhr ihre eigene Zeit abgelaufen sein würde: "Wußten die Engländer denn nicht, daß der Herr der zehntausend Jahre nicht nur über die Zeit gebot, sondern die Zeit war, ja, die Zeit selbst war." (S. 241) Um sich diesem Schicksal zu entziehen, bauen Cox und seine Mitarbeiter fünf Sicherungen in ihr letztes Werk, die erst nach ihrer Abreise eingebaut werden sollen, um es dann in Gang zu setzen. Alister Cox ist der historischen Figur James Cox (1723-1800) nachgebildet, der im 18. Jahrhundert einige Versuche zum Bau eines perpetuum mobile unternahm und den chinesischen Kaiser Qianlong – ebenfalls eine historische Gestalt – mehrmals mit komplizierten Uhren belieferte. Zu einer Reise nach China ist es allerdings nie gekommen. Ransmayr kleidet moderne physikalische Erkenntnisse über die Zeit in ein exotisches, zuweilen phantastisches Gewand. "Cox oder Der Lauf der Zeit" ist eine weitere Variante seines immer wieder kehrenden Themas der Konfrontation seiner Protagonisten mit dem Fremden, dem Anderen und der Auseinandersetzung damit. → Christoph Ransmayr: Die Schrecken des Eises und der Finsternis → Brian Greene: Ikarus am Abgrund der Zeit. → Ernst Jünger: Das Sanduhrbuch. -Leopold Infeld: Der Mann neben Einstein. Ein Leben zwischen Raum und Zeit. 8. Januar 2025 |
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