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Boris Sawinkow (1879 - 1925) war Mitglied der Sozialrevolutionären Partei Russlands und aktiv in deren bewaffneter Organisation, die für eine Vielzahl von Attentaten gegen den Zar und andere russische Amtsträger verantwortlich war. Er war beteiligt an dem tödlichen Anschlag auf den Großfürsten Sergej Alexandrowitsch Romanow, den Generalgouverneur von Moskau. Dieses Attentat ist die Blaupause für den Roman "Das fahle Pferd". Ein Gruppe von fünf Mitgliedern bereitet einen Anschlag auf den Generalgouverneur einer Stadt vor. Die Mitglieder unterscheiden sich radikal in ihren Persönlichkeiten und Motiven. Religiöse, politische, soziale und persönliche Gründe treiben sie an, um den Zar und seine Repräsentanten vernichten zu wollen. Nur George, der Kopf der Gruppe, scheint ohne Leidenschaft, ihm ist der Terror Selbstzweck. Mehrere Versuche scheitern, bis es schließlich gelingt, den Gouverneur durch den Wurf einer Bombe in seine Droschke zu töten. Danach löst sich die Gruppe auf, einige Mitglieder werden gefasst und zum Tode verurteilt. Der Text ist als Tagebuch Georges verfasst, das die Vorbereitungen auf den Anschlag beschreibt, die Ausspähungen des Gouverneurs, die Gespräche der Mitglieder, ihr Verhalten gegenüber ihren Verfolgern und die Maßnahmen, die sie ergreifen nach mehreren misslungenen Anschlägen. Knappe Formulierungen, eine harte Sprache, die den zynischen Nihilismus Georges nicht besser dokumentieren könnte. Sawinkow ist übrigens nach dem erfolgreichen Anschlag gegen den Generalgouverneur festgenommen und zum Tode verurteilt worden. Ihm gelang jedoch die Flucht nach Paris, wo er sich in Exil- und literarischen Kreisen bewegte und mehrere autofiktionale Romane schrieb. Gefördert wurde er dabei unter anderem von Dmitri Mereschkowski. "Das fahle Pferd" erschien 1913 erstmals in der vollständigen Fassung, die erste Ausgabe von 1909 war erheblich gekürzt. Sawinkow kehrte 1917 nach Russland zurück und schloss sich – nach einer kurzen Karriere in der Regierung Kerenskis – antibolschewistischen Gruppen an, mit denen er den Sturz der sowjetischen Regierung betrieb. 1922 begab er sich erneut ins Exil nach Paris, wurde aber 1924 durch den sowjetischen Geheimdienst in die Sowjetunion gelockt, wo er umgehend festgenommen und ins Gefängnis geworfen wurde. Ein Jahr später stürzte er sich aus einem Fenster im 5. Stock des Gefängnisses und fand dabei den Tod. Das "Dossier zu Boris Sawinkow" besteht aus drei Teilen: -Jörg Baberowksi: Das Handwerk des Tötens. Boris Sawinkow und der russische Terrorismus. (Man könnte meinen, der Text wäre inmitten des "Deutschen Herbstes" verfasst worden.) -Alexander Nitzberg: Boris Sawinkow – Die fleischgewordene Vision Dostojewskis. (Sehr hilfreicher Text zum Verständnis Sawinkows und des Milieus, das im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert so viele Menschen dazu brachte, sich Organisationen anzuschließen, deren Mittel zur Veränderung der Gesellschaft die Gewalt war.) -Boris Sawinkow: Aus den Erinnerungen an Iwan Kaljajew. (Kaljajew war der Bombenwerfer, der den Generalgouverneur tötete.) Die Übersetzung von Alexander Nitzberg beruht auf der ersten vollständigen Ausgabe des Romans, die 1913 in Frankreich erschienen war. Zeitgleich mit der ersten russischsprachigen Ausgabe von 1909 war bereits eine deutsche Übersetzung von Aage Madelung erschienen, allerdings mit unklarer Autorenangabe und einigen Kürzungen. ---------------------------- 16. Juni 2023 |
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