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Carl Seelig Wanderungen mit Robert Walser Carl Seelig
Wanderungen mit Ro­bert Wal­ser.
Neu herausgegeben im Auf­trag der Carl-Seelig-Stif­tung und mit ei­nem Nach­wort ver­se­hen von Elio Fröh­lich. Mit Pho­to­gra­phien von Carl See­lig.
Suhrkamp Verlag 1990, 185 Sei­ten, ISBN 3-518-40264-1

Robert Walser (1878-1956), Schwei­zer Schrift­stel­ler und Au­tor von Tex­ten wie "Ge­schwis­ter Tan­ner" (1907), "Der Ge­hül­fe" (1908) und "Ja­kob von Gun­ten" (1909), ent­stammt einer Fa­mi­lie, de­ren Mit­glie­der häufig von psy­chi­schen Pro­ble­men be­las­tet wa­ren. Die Mut­ter galt als "ge­müts­krank", sein Bru­der Ernst starb 1916 in der "Ir­ren- Heil- und Pfle­ge­an­stalt Wal­dau", ein wei­te­rer Bru­der, Her­mann, nahm sich 1919 das Leben. Robert selbst wur­de 1929 eben­falls in Wal­dau auf­ge­nom­men, er litt un­ter Angst­zu­stän­den und Hal­lu­zi­na­tio­nen. Sein Be­fin­den ver­bes­ser­te sich nach ei­ni­gen Wo­chen und er konn­te sei­ne li­te­ra­ri­sche Ar­beit – wenn auch deut­lich re­du­ziert – fort­set­zen. Erst als er 1933 ge­gen sei­nen Wil­len in die Heil- und Pfle­ge­an­stalt He­ri­sau ver­bracht wur­de, en­de­te sei­ne li­te­ra­ri­sche Pro­duk­tion jäh. Trotz­dem ihm spä­ter be­schei­nigt wur­de, dass er je­der­zeit als ge­heilt ent­las­sen wer­den könn­te, zog er es vor, bis zu sei­nem Tod 1956 in der An­stalt zu ver­blei­ben.

Carl Seelig (1894-1962), Schwei­zer Schrift­stel­ler und Jour­na­list, der in­ten­si­ve Kon­tak­te zu Au­to­ren der Zeit pfleg­te und sie als He­raus­ge­ber und durch die Be­spre­chung ih­rer Wer­ke, so­wie – bei Be­darf – auch ma­te­riell un­ter­stütz­te. 1935 nahm See­lig Kon­takt zu Ro­bert Wal­ser auf und be­such­te ihn ab 1936 re­gel­mä­ßig in He­ri­sau, von wo aus sie zu ih­ren ge­mein­sa­men Wan­de­run­gen auf­bra­chen. In die­ser Zeit be­sorg­te See­lig ei­ni­ge Edi­tio­nen der Wer­ke Ro­bert Wal­sers und wur­de schließ­lich zu sei­nem Vor­mund be­stellt.

"Wanderungen mit Ro­bert Wal­ser" do­ku­men­tiert et­wa 50 die­ser Wan­de­run­gen, wel­che Kri­te­rien der Aus­wahl zu Grun­de ge­le­gen ha­ben bleibt un­klar, es müs­sen er­heb­lich mehr ge­we­sen sein. Da­bei ent­steht kei­nes­wegs der Ein­druck ei­nes pa­tho­lo­gi­schen Ro­bert Wal­ser, eher der ei­nes Men­schen mit Ecken und Kan­ten, der ge­le­gent­li­chen Lau­nen un­ter­wor­fen war. Man er­fährt ei­ni­ges über sei­ne ei­ge­ne Li­te­ra­tur, mehr noch aber über die Lek­tü­re Wal­sers, die auch in den Jahr­zehn­ten sei­ner schrift­stel­le­ri­schen Abs­ti­nenz nicht ver­nach­läs­sigt wor­den ist. Di­rekt auf das Ende sei­ner Schreib­tä­tig­keit an­ge­spro­chen, ant­wor­tet er: "In He­ri­sau (...) habe ich nichts mehr ge­schrie­ben. Wo­zu auch? Mei­ne Welt wur­de von den Na­zis zer­trüm­mert. Die Zei­tun­gen, für die ich schrieb, sind ein­ge­gan­gen; ihre Re­dak­to­ren wur­den ver­jagt oder sind ge­stor­ben. Da bin ich ja bei­na­he zu ei­nem Pe­tre­fakt ge­wor­den." (S. 76)

Walser und Seelig wan­der­ten nicht nur in der nä­he­ren Um­ge­bung von He­ri­sau, ge­le­gent­lich un­ter­nah­men sie auch Bahn­rei­sen, um dann am Ziel­ort die Ge­gend zu er­kun­den. We­sent­li­cher Be­stand­teil ih­rer Tref­fen wa­ren die Mahl­zei­ten, für Wal­ser si­cher ei­ne ge­schätz­te Ab­wechs­lung zur An­stalts­kost, und der reich­li­che Zu­spruch zu al­ko­ho­li­schen Ge­trän­ken. Ex­tre­me Wet­ter­be­din­gun­gen hiel­ten die bei­den nur sel­ten da­von ab, ihr ge­plan­tes Pen­sum in vol­lem Um­fang durch­zu­füh­ren. Be­tont wird das for­cier­te Tem­po, mit dem Ro­bert Wal­ser auch schwie­ri­ge Weg­stre­cken zu­rück­leg­te, erst ab 1953, Wal­ser war zu die­ser Zeit im­mer­hin schon 75 Jah­re alt, be­merk­te See­lig Ein­schrän­kun­gen: "Zum ers­ten­mal macht mir Ro­bert den Ein­druck ei­nes al­tern­den, mit den schwin­den­den Kör­per­kräf­ten kämp­fen­den Man­nes." (S. 146)

Es ist eine immer wie­der anrührende Lek­tü­re, die si­cher kei­ne tief­ge­hen­den Er­kennt­nis­se über das Werk Ro­bert Wal­sers lie­fert, den Men­schen aber et­was nä­her bringt.


31. Oktober 2024

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