Kassiber | |||||
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Andrea Giovene Der Zweite Weltkrieg ist ausgebrochen, das Italien Mussolinis steht an der Seite des nationalsozialistischen Deutschen Reichs und Giuliano di Sansevero wird als Offizier der Kavallerie mit seiner Einheit nach Frankreich geschickt. Er bezieht Quartier in einem Privathaus, dessen Besitzerin ihn deutlich spüren lässt, wie unerwünscht er ist. Die feindliche und abweisende Haltung der Bevölkerung macht ihm zu schaffen. Schon hier wird seine Ambivalenz zwischen Pflichterfüllung und seiner humanistischen Grundhaltung deutlich, die sich durch die gesamte Dauer seiner Existenz als Soldat zieht. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Reggio Emilia wird Giuliano nach Griechenland verlegt. Im Hinterland des kleinen Ortes haben sich Partisanen organisiert, deren Verbindungen zu den Einwohnern offensichtlich sind. Giuliano bemüht sich um ein friedliches Miteinander mit der örtlichen Bevölkerung und empfindet die Besetzung des Landes, das er für die Wiege der europäischen Kultur hält, als übergriffig. Nachdem Italien 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten vereinbart hat, übernehmen deutsche Truppen die Kontrolle und stellen die italienischen Soldaten vor die Alternative sich der deutschen Wehrmacht anzuschließen oder den verbliebenen Einheiten Mussolinis. Giuliano und andere lehnen beide Möglichkeiten ab und werden daraufhin interniert. Giuliano gelangt so in ein Lager in Lemberg (Lviv) von wo aus es – bedingt durch das unaufhaltsame Vorrücken der Roten Armee – weiter nach Berg geht, einem kleinen Ort in Elbnähe, wo er im Haus des Sägewerkbesitzers untergebracht wird. Vorrückende Einheiten der US-Armee bringen den Krieg auch nach Berg. Zahlreiche Bombenangriffe, marodierende Banden von geflüchteten Zwangsarbeitern und Gefechte mit den verbliebenen deutschen Truppen überziehen den beschaulichen Ort mit Chaos und Zerstörung. Eine kleine deutsche Einheit nimmt Giuliano gefangen, als sie sich auf dem Rückzug befindet, um am alles entscheidenden Kampf um Berlin teilzunehmen. Von da an steigert sich das Tempo der Erzählung, um die irrwitzigen und apokalyptischen Verhältnisse darzustellen, die sich in diesem Endkampf abspielen. Während – mit Ausnahme mancher Situationen in Berg – die Beschreibung des Geschehens bis dahin eher getragen und unaufgeregt ist, gerät jetzt alles aus den Fugen, die Drastik des Beschriebenen assoziiert Darstellungen der Endzeit in der mittelalterlichen Malerei. Giuliano kann jedoch entkommen und macht sich auf den Weg zurück in die Heimat. Er begegnet dabei entwurzelten Individuen, Traumatisierten, fliehenden Familien oder was von ihnen übrig geblieben ist, Hunger, Verzweiflung, Gewalt und Verrohung und doch lesen wir mit Erstaunen den folgenden Satz: "Die Begegnung unterschiedlicher Leben war rein und unversehrt, ohne alle kupplerischen Hintergedanken, und ich verschmolz vielleicht zum ersten und einzigen Mal auf vollkommene Weise mit den Menschen." S. 302 In Garmisch, in einem Auffanglager für displaced persons, findet seine Odyssee ein Ende. Reflexionen über Pflichterfüllung, Ethik, persönliche Verantwortung, Respekt gegenüber dem Einzelnen und die Schicksalhaftigkeit seiner Existenz sowie die hervorragende Übersetzung Moshe Kahns gestalten das Buch zu einem literarischen Hochgenuss. → Andrea Giovene: Das Haus der Häuser 22. November 2024 |
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